So ein Renault Espace kann ja viel, die Großfamilie zusammenpacken und komfortabel in den Urlaub bringen zum Beispiel. Aber so schnell auf 100 km/h beschleunigen wie ein aktueller Porsche 911 GT2 RS mit 700 PS, ein McLaren 765LT mit 765 PS oder ein Lamborghini Aventador SVJ mit 770 PS? Das klingt absurd, doch tatsächlich kann ein Espace genauso schnell sprinten. Und zwar exakt ein einziger.
Die Geschichte ist inzwischen ein Vierteljahrhundert alt, klingt wie erfunden, ist aber tatsächlich geschehen. Mitte der 1990er Jahre machten Renault, das Formel-1-Team von Williams und die französische Firma Matra, die den Espace in Serie produzierte, aus dem Familienvan ein wahres Monster. Äußerlich wie technisch. Die Obhut über das Projekt hatte Konstrukteur Gérard Ducarouge.
V10 mit 67 Grad Bankwinkel
Williams und Renault arbeiteten seit 1989 zusammen in der Formel 1. Die Engländer bauten das Chassis der Rennautos und kümmerten sich um Mechanik und Aerodynamik. Die Franzosen steuerten den Motor bei. Zum 10-Jährigen des Espace 1994 – und nach drei gemeinsamen Konstrukteurs-Titeln in Serie in der Formel 1 – zeugten die Partner ein Einzelstück, das auf einem Carbonchassis aufbaut und einen Zehnzylinder in sich trägt.
Dafür wurde der Innenraum entrümpelt und mit vier Carbon-Schalensitzen bestückt. Zwischen den hinteren beiden Stühlen sind auf Pressefotos die Ansaugtrompeten des V10-Saugmotors mit einem Hubraum von 3,5 Litern zu erkennen – zum Zunge schnalzen! Der V10 stellt die beiden Zylinderbänke in einem Winkel von 67 Grad gegenüber. Hier die Eckdaten des Formel-1-Motors in der Übersicht:
- Bauart: V10
- Zylinderwinkel: 67 Grad
- Hubraum: 3.498 cm³
- Bohrung*Hub: 96,0 * 48,3 mm
- Ventile: 40
- Ventiltrieb: 4 obenliegende Nockenwellen, pneumatische Öffnung und Schließung der Ventile
- Ventilsteuerung: Stirnradantrieb
- Leistung: 790 PS bei 14.700/min
- Verdichtung: 12,6:1
- Gewicht: 135 kg
- Abmessungen (Länge*Breite*Höhe): 620 * 530 *411 mm
- Elektrik: Magneti Marelli
Im Espace-Prototyp leistet der 40 Ventiler in Mittelmotor-Position laut Angaben von Renault sogar 811 PS und entwickelt ein maximales Drehmoment von 705 Newtonmeter. Ein kleines Tuning. Die Kraftübertragung stemmt eine Sechsgang-Halbautomatik von Williams. Sie sitzt hinter dem Motor im Kofferraum. Der Fahrer wechselt die Gänge über Knöpfe am Lenkrad.
Akute Burnout-Gefahr
Die Passagiere sind irren Fahrleistungen ausgesetzt. Der rund 1,1 Tonnen leichte Espace F1 soll nicht nur in unter drei Sekunden auf 100 Sachen jagen, sondern auch die 200er Marke in weniger als sieben Sekunden sprengen. Über den Topspeed geistern verschiedene Angaben. Mal heißt es, der Formel-1-Espace schaffe an die 300 km/h. Andere Quellen sprechen von über 310 km/h.
Trotz einer Traktionskontrolle herrscht akute Burnout-Gefahr. Der Fahrer muss das Gaspedal eher streicheln, sonst drohen Dreher. Mit Slickreifen von Michelin, die vorn 27 und hinten 36 Zentimeter breit sind, soll das Einzelstück in Kurven Querbeschleunigungskräfte von bis zu 2g erzeugt haben.
Dafür waren auch aerodynamische Änderungen notwendig. Die Fahrzeugfront trägt vergrößerte Lufteinlässe mit einem integrierten Frontflügel. Im Heck macht sich ein Diffusor breit. Und die Hälfte des Dachs bedeckt ein großer Flügel, der Abtrieb erzeugt. Getriebe im Kofferraum, Flügel auf dem Dach: Das Urlaubsgepäck musste zu Hause bleiben.
Video: Renault Espace F1: Einzelst࿌k mit V10-Saugmotor
160 Dezibel im Innenraum
Die Bilder offenbaren, dass der Espace auch tiefergelegt wurde. Mit Sicherheit stimmten die Ingenieure auch Aufhängungen, Federn und Dämpfer komplett neu ab. Kohlefaserbremsscheiben mit einem Durchmesser von 355 Millimeter vorn und 280 hinten verzögern den Van rigoros.
In Fahrer- und Beifahrertür sind riesige Kiemen geschlitzt. Sie dienen vermutlich der Entlüftung. Trotzdem heizt der V10-Saugmotor den Insassen ein. Es ist die Rede von Temperaturen von mehr als 60 Grad. Auch akustisch brennt der Renault Espace F1 ein Feuerwerk ab. Der Zehnzylinder kreischt im Innenraum mit rund 160 Dezibel.
Das Konzeptfahrzeug schaffte es natürlich nicht in die Serie. Doch es bewies, dass man selbst aus einem eher biederen Familienauto mit hohem Schwerpunkt eine Rakete auf vier Räder zaubern kann. Ob fahr- oder unfahrbar sei mal dahingestellt. © auto motor und sport
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