Bruce Canepa ist im Porsche-Universum wahrlich kein Unbekannter. In den Siebziger- und Achtigerjahren jagte der Kalifornier bevorzugt mit schwäbischen Boliden über die nordamerikanischen Rennstrecken. Nach seiner Karriere blieb er dem Hersteller eng verbunden – und vor allem dessen Leuchtturm-Modell der Achtzigerjahre. Die Rede ist natürlich vom ab Werk 450 PS und maximal 500 Newtonmeter starken Porsche 959, der in 3,7 Sekunden von Null auf Hundert beschleunigte und maximal 315 km/h erreichte. Und der trotz seines horrenden Preises von 420.000 Mark ruckzuck ausverkauft war. Zum Vergleich: Das entspricht inflationsbereinigt einem heutigen Wert von etwa 830.000 Euro.

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Um zu verstehen, was seine Firma heute mit dem Sportwagen veranstaltet, sollte man Canepas Historie mit dem Allrad-Coupé kennen. 1988 kaufte er sein erstes eigenes Exemplar – und sah sich mit einem Problem konfrontiert: Da der 959 ursprünglich nicht für den US-Markt vorgesehen war, erfüllte er nicht die dort geltenden Emissions-Richtlinien. Also machte sich Bruce Canepa an die Arbeit und entwickelte eine Version, die die amerikanischen Abgasvorschriften erfüllte. Und stellte dabei fest, dass sich mit moderneren Komponenten deutlich höhere Leistungswerte realisieren lassen.

Von 450 über 584 auf über 811 PS

Anfangs gestalteten sich die Leistungssprünge noch überschaubar – zumindest im Vergleich dazu, was Canepa heute möglich macht. Zur Jahrtausendwende leistete ein Porsche 959 von Canepa noch 584 PS – und hielt dabei weiterhin die US-Abgasvorschriften ein. Später brachte er eine Version mit 649 PS auf den Markt. Doch das waren alles nur Zwischenschritte für das, was das Unternehmen seit 2018 im Angebot hat: Den Porsche 959SC Reimagined by Canepa, der über 811 PS (offiziell "800+ horsepower" nach US-Spezifikation) leistet und maximal 881 Newtonmeter auf alle vier Räder verteilt.

Dass das nicht mal eben per Fingerschnipp möglich ist, versteht sich von selbst. In jedes Auto investiert Canepas Truppe etwa 4.000 Arbeitsstunden – einen Großteil davon in den Neuaufbau des Motors. Pleuelstangen, Nockenwellen, Ventile, Stößel und vieles mehr: Im 2,9-Liter-Biturbo-Boxer tauschen die Kalifornier fast alle Komponenten gegen verstärkte Pendants aus moderneren und leistungsfähigeren Materialien aus. Die KKK-Lader mit Registeraufladung verkörperten Mitte der Achtziger zwar absolute Hightech, aber inzwischen ist die Technik in dieser Hinsicht so weit fortgeschritten, dass mit den neuen Borg-Warner-Turbos samt integrierter Wastegates schlicht mehr Power aus dem Sechszylinder-Motor herauszuholen ist.

Verträgt nun auch E85-Sprit

Weil auch das gesamte Zünd- und Kraftstoffsystem sowie die Einspritzdüsen getauscht und die Luftansaugung optimiert werden, ist eine neue Motorelektronik unabdingbar. Diese und die passenden Kabelbäume hat Canepa zusammen mit dem Spezialisten Motec entwickelt. Der automatischen Kraftstoff-Kalibrierung ist es zu verdanken, dass der Motor des Porsche 959SC Reimagined E85-Kraftstoff verträgt. Noch etwas vergessen? Ach ja: Eine neue Lichtmaschine, ein anderer Anlasser, eine verbesserte Luftansaugung und ein Titan-Hitzeschild gibt es obendrein – sowie auf der Auslassseite keramikbeschichtete Krümmer und eine aus Edelstahl und Titan gefertigte Abgasanlage mit zwei Einzel-Endrohren.

Und wenn Canepa schon am Umrüsten und Modernisieren ist, wird auch der restliche Antriebsstrang modifiziert. Die Amerikaner überholen das Sechsgang-Getriebe des Porsche 959 von Grund auf und bauen bei der Gelegenheit verstärkte Einzelteile ein. Dasselbe passiert beim Differenzial und der Kupplung.

Fahrwerk auf 959S-Basis

Beim Fahrwerk geht die Truppe um Bruce Canepa einen Sonderweg. Als Basis dient das Layout der späten und besonders seltenen 959S-Version, die auf die einstellbare Fahrzeughöhe des Standardmodells verzichtete. Der Wegfall von Hydraulik, Leitungen und Pumpen brachte nicht nur eine Gewichtsersparnis, sondern reduzierte die Komplexität und damit die Fehleranfälligkeit des 959-Fahrwerks. Canepa rüstet aber auch hier auf, und zwar mit Titanfedern und Stoßdämpfern aus dem Penske-Regal. Damit liegt die Karosserie des Porsche 959SC Reimagined um etwa 2,5 Zentimeter tiefer als beim Standard-959, was auch schon beim 959S der Fall war. Die serienmäßigen 17- tauscht Canepa gegen 18-Zoll-Felgen aus Magnesium aus, die mit Michelin-Sportreifen bezogen sind. Dahinter arbeitet eine neu entwickelte Bremsanlage.

Das Unternehmen verspricht beim 959SC Reimagined zudem eine Restaurierung auf "Concours-Niveau", bei der neben allen mechanischen Komponenten auch das Chassis und die Karosserie auf Vordermann gebracht werden. Dazu gehört natürlich die Beschichtung eines jeden Einzelteils mit dem jeweils perfekten Überzug. Bei der Farbgebung der Außenhaut können sich die Kundinnen und Kunden entweder aus der originalen Porsche-Palette bedienen oder eine Wunschlackierung wählen. Diese erhält neben dem Koffer- und Motorraum übrigens auch der Unterboden. Einzige erkennbare optische Änderung sind die Scheinwerfer.

Neues Leder für's Interieur

Allein 400 Arbeitsstunden wendet Canepa für den Innenraum auf. Alle Bereiche erhalten frisches Leder, das auch für die Bordmappe und Werkzeugtasche verwendet wird. Für die Themenbereiche Infotainment und Konnektivität ist das offizielle Porsche-System im klassischen Look zuständig. Alle Glühlampen tauschen die Kalifornier gegen LED-Leuchten aus, und die Mittelkonsole erhält jenen Schalter, mit dem die Lautstärke der Abgasanlage bestimmt werden kann.

Entwicklungsauto bei Nissan

Das hier vorgestellte Exemplar in den Farbtönen Oak Green (außen) und Dunkelbraun (innen) war früher übrigens einmal Silbermetallic (außen) und grau (innen). Nissan hatte das Auto mit der Chassisnummer 022 über den belgischen Händler D'Ieteren gekauft, nachdem eine offizielle Anfrage bei Porsche gescheitert war. Von Belgien ging es nach Yokohama.

In Japan angekommen, zerlegte Nissan den 959, um Erkenntnisse für die Entwicklung eines sportlichen Allradantriebs zu gewinnen. So trug der 959-Allradantrieb vermutlich seinen Teil zu Nissans "Advanced Total Traction Engineering System for All Terrains and Electronic Torque Split" (ATTESA ET-S) bei, der im R32 GT-R zum Einsatz kam. Der Skyline gewann zwischen 1990 und 1993 die japanische Tourenwagen-Meisterschaft. Den 959 verkaufte Nissan an einen der am Projekt beteiligten Ingenieure, der das Auto später in die USA brachte.

Verkauft für 2,8 Millionen Euro

Im Jahr 2019 kam der 959 mit einem Kilometerstand von rund 1.400 zu Canepa. Dort wurde der Porsche erneut zerlegt. Im März 2023 komplettierten die Kalifornier das Auto nach einer 4.000 Stunden langen und 950.000 US-Dollar teuren Restaurierung. Broad Arrow Auctions hat den Canepa-959 während der Amelia-Island-Auktion am 1. und 2. März zum Kauf angeboten. Der Schätzpreis von 3,25 bis 3,75 Millionen US-Dollar, umgerechnet 3,0 bis 3,47 Millionen Euro, wurde nicht erreicht: Verkauft wurde der Canepa-959 für 3,085 Millionen US-Dollar, umgerechnet 2,84 Millionen Euro.

Für knapp 2,8 Millionen Euro versteigert

14.12.2022 – RM Sotheby's versteigerte am 10. Dezember 2022 bei einer Auktion in Miami einen smaragdgrünen Canepa-959 für 2,92 Millionen Dollar (zu diesem Zeitpunkt umgerechnet knapp 2,8 Millionen Euro). Es handelte sich um die offiziell 836 PS starke Nummer 003 einer Kleinserie von maximal 50 Autos, die Canepa in der 959SC-Reimagined-Konfiguration bauen wird. Was gar nicht mal so wenig ist, schließlich hat Porsche überhaupt nur 292 Einheiten des 959 gebaut.

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Das ursprünglich in Silbermetallic mit grauem Interieur ausgelieferte Exemplar hatte eine weite Reise hinter sich: Als eines von 207 Komfort-Modellen wurde es nach Monte Carlo erstausgeliefert, kam dann nach Japan in ein privates Museum und schließlich im September 2016 in die USA. Als es in Canepas Obhut übergeben wurde, hatte es gut 38.000 Kilometer auf dem Tacho.  © auto motor und sport

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