Als sich im Herbst 1963 die Tore der IAA in Frankfurt am Main öffnen, blickt die Weltöffentlichkeit erstmals auf einen gerade 3,58 Meter langen und nur 1,26 Meter hohen Roadster. Das eigentlich Sensationelle auf dem NSU-Stand ist nicht etwa die schicke Form des von Bertone entworfenen, offenen Zweisitzers. Es ist vielmehr die Technik, die er in seinem flachen Heck versteckt. Dabei handelt es sich um den weltweit ersten Einscheiben-Kreiskolbenmotor, der in Serie gebaut wird.

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Maßgeblich an der Entstehung dieses komplizierten Motorprinzips ist Felix Wankel beteiligt. Der 1902 im badischen Lahr geborene Erfinder ist eigentlich Verlagskaufmann. Sein Leben lang widmete er sich allerdings der Idee eines Rotationskolbens – um die Vibrationen eines Hubkolbenmotors zu vermeiden. Doch die Entwicklung ist kompliziert und langwierig.

Vom Drehkolben zum Kreiskolben

Schon Anfang der 1950er Jahre beginnt die Zusammenarbeit zwischen NSU und Wankel. Der damalige Leiter der NSU-Versuchsabteilung Walter Froede und Felix Wankel kennen sich bereits aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs von der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt. Für beide ist der Kreiskolbenmotor ein Herzensprojekt, und so kommt es zu einer vertraglich vereinbarten Zusammenarbeit.

Erstes Ergebnis der Kooperation ist ein drehschiebergesteuerter 250er-Motorradmotor auf Basis der NSU-Modelle Lux und Max. Da sich Mitte der 1950er Jahre ein starker Trend zum Automobil abzeichnet, konzentrieren sich die Beteiligten bald auf die Aggregate-Entwicklung für Autos. Wankel hat das Motorenkonzept mittlerweile durch einen spitz-ovalen Kolben verfeinert, der in einem sich ebenfalls drehenden, kreisförmigen Körper rotiert. Am 1. Februar 1957 läuft dieser erste Drehkolbenmotor der Welt (DKM 54) auf dem Prüfstand.

Dichtungsprobleme treten auf

Nach 15 Stunden auf dem Prüfstand treten bereits die ersten Dichtungsprobleme auf. Schnell kommen die NSU-Entwicklungsingenieure zu dem Entschluss, das Motorenkonzept grundlegend überarbeiten zu lassen. Der Vertrag mit Wankel wird verlängert. Das Nachfolge-Aggregat ist weniger komplex und setzt auf ein feststehendes Gehäuse. Anfang 1959 starten die ersten Prüfstandversuche dieses Kreiskolbenmotors mit der Bezeichnung KKM 250. Es folgen Weiterentwicklungen, Verbesserungen, Verfeinerungen und schließlich ein erstes Testfahrzeug auf Basis eines NSU Prinz.

Niemandem im Werk Neckarsulm fällt der unscheinbare hedera-grüne Prinz damals auf. Dabei verbirgt sich in seinem Heck der erste Pkw-Wankelmotor der Welt. Im Sommer 1959 geht das Auto auf Erprobungsfahrt in und um Neckarsulm. Den Nachfolge-Motor KKM 400 bauen die Ingenieure wenig später in einen NSU Sport-Prinz ein. Bis 1963 wird weiterentwickelt. Dann folgt die Feuertaufe.

Kompakt, leicht und vibrationsarm

Kurz vor der IAA – im September 1963 – steht im Werk Neckarsulm für eine Stunde alles still. Der NSU-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerd Stieler von Heydekampf stellt den Beschäftigten den "NSU Spider" vor. Als er den kleinen Roadster mit seiner selbsttragenden Karosserie und dem Design von Giuseppe "Nuccio" Bertone enthüllt, ertönt tosender Applaus. Doch die Sensation ist der Motor, der zusammen mit Getriebe, Lichtmaschine und Anlasser nur 125 Kilogramm wiegt und trotzdem 50 PS leistet. Zum Vergleich: Der Zweizylinder im Prinz 4 brachte es gerade auf 30 PS.

Dazu läuft der Wankel seidenweich wie ein Sechszylinder. Und weil er so flach aufbaut, lässt er im Heck sogar noch Platz für einen zusätzlichen Kofferraum. Längst ist der Begriff Wankelmotor im Unternehmen verbreitet. Und nach der IAA-Premiere des NSU/Wankel Spider kennt diesen Namen die ganze Welt. Schon bald erwerben namhafte Auto- und Motorenhersteller Lizenzen für die neue Kreiskolbentechnik aus Neckarsulm – darunter General Motors, Daimler-Benz, Porsche, Nissan, Toyota und Toyo Kogyo (heute bekannt als Mazda). Der Rest ist Geschichte.

Nur zwei Farben erhältlich

Das Lizenzgeschäft ist für die Neckarsulmer einträglich. Der Absatz des NSU/Wankel Spider hingegen läuft eher schleppend an. Kunden können den flotten Sportler ab Herbst 1964 in den Farben Alfarot oder Lilienweiß für 8.500 Deutsche Mark kaufen. Bis Juli 1967 werden vom ersten Auto mit Wankelmotor 2.375 Exemplare verkauft. Dann ist schon Schluss mit dem kleinen Roadster.

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Doch NSU unternimmt noch im selben Jahr einen zweiten Anlauf, diese extravagante Motorentechnik zu etablieren. Im 4,78 Meter langen Ro80 verbauen die Neckarsulmer einen größeren und stärkeren Zweischeiben-Wankelmotor mit 115 PS und Frontantrieb. Doch das ist eine andere Geschichte.  © auto motor und sport

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