Häufigster Grund für Alleinunfälle in Kurven ist – nein, nicht zu hohes Tempo, sondern mangelndes Fahrkönnen. Entscheidend sind Kurventechnik, Blickführung und Linienwahl – insbesondere auf anspruchsvollen Alpen-Pässen wie am Stilfser Joch. MOTORRAD gibt Tipps zur richtigen Linie.
Die Alpen sind das Motorrad-Paradies und zugleich die größte Herausforderung in Sachen Fahrtechnik und Kurvenlinie. Steile Gebirgspässe mit extrem engen Kehren sind für routinierte Motorradfahrer und -fahrerinnen ein Hochgenuss, für weniger geübte eher furchteinflößende, hohe Hürden. Fast täglich sind Stürze oder langsame Umfaller am Kurvenscheitel zu beobachten. Etwa am beliebten Stilfser Joch, wo Kanyarfoto schon unzählige Schnappschüsse von derlei Missgeschicken (siehe oben in der Bildergalerie) gemacht sowie beim Aufrichten der Motorräder und beim Einsammeln abgebrochener Teile geholfen hat. Mit der richtigen Linie lassen sich solche ärgerlichen, teuren und manchmal auch schmerzhaften Momente vermeiden.
Die richtige Kurvenlinie – nicht nur am Stilfser Joch wichtig
Es ist wie verhext: Eigentlich, weiß doch jeder, dass eine Kollision mit dem Gegenverkehr einem ziemlich den Tag versauen kann. Und dann bietet sich immer wieder das gleiche Bild auf kurvigen Strecken: 9 von 10 Motorrädern kommen einem in den Rechtskurven beim Begegnen gefährlich nahe. Dabei schneiden sie ihre Linkskurve noch nicht einmal richtig, sondern fahren einfach nur mit den Reifen nahe am Mittelstrich oder an der Fahrbahnmitte. Versuche ich dann selbst, meine Rechtskurve richtig anzufahren, nämlich von außen, kann es eng werden.
Will ich deren Kopf nicht an meiner Gabel kleben haben, bleibt nur, nach rechts wegzuziehen. Das fällt mir nicht schwer, stört allenfalls den Fahrfluss. Das entgegenkommende Motorrad ist da schlechter dran: Wer zu weit innen war, sprich die Kurve geschnitten hat, kann nur "aufmachen", das heißt, seine Fahrlinie in Richtung Kurvenaußenrand verlassen.
Tempo passt oft nicht zum Fahrkönnen
Hat vorher das Tempo zu der flachen Linie gepasst, wird es beim nun nötigen Wiedereinlenken in den Kurvenradius richtig eng. Kommt einem in der Situation dann nicht ein schmales Motorrad entgegen, sondern ein Pkw oder gar ein Bus – wie im Bild unten –, kann die Sache ganz schnell schiefgehen. Denken Sie doch mal an die letzten Ausfahrten: Wie oft passiert es, dass Sie bei Gegenverkehr in Linkskurven einen Schlenker drumherum machen müssen?
Die wenigsten Motorradfahrer rutschen wegen einer tatsächlich für die Kurve zu hohen Geschwindigkeit aus der Kurve. Eher geht es geradeaus in den Graben. Meist passt einfach das Tempo nicht zum Fahrkönnen. Denn dazu gehören die aktive, dynamische Blickführung, das richtige Lenken über Lenkimpuls, keine Angst vor Schräglage und die dynamische Sicherheitsfahrlinie. Ganz schön viel auf einmal? Stimmt. Es lohnt sich aber, das mal aufzudröseln. Denn eines sollte klar sein: Kurvenfahren wird nicht nur erst sicher mit dem nötigen Können, es macht vor allem erst dann richtig Spaß, wenn man es beherrscht.
Blickführung und Lenkimpuls
Ganz wichtig dabei: Der Blick darf nicht nur vor dem Vorderrad auf der Straße oder gar am Straßenrand kleben, sondern sollte immer wieder weit Richtung Kurvenausgang gehen. So kann ich mich von meinem Blick regelrecht durch die Kurve ziehen lassen. Zum Einleiten der Kurve brauchen wir den Lenkimpuls, also das mehr oder weniger kräftige Nach-vorne-Schieben des kurveninneren Lenkerendes. Es wird gerne auch als Drücken bezeichnet, wichtig ist jedenfalls, dass dabei Bewegung im Lenkkopf zu sehen und zu spüren ist. Und ja, dabei wird kurz in die "falsche Richtung" gelenkt, das ist nun mal Physik. Man hat allerdings mit dieser Lenktechnik das Motorrad stets zielgenau unter Kontrolle.
Schräglage und Linienwahl
Als Nächstes sollte konsequent Schräglage trainiert werden. Nur wer die mögliche Schräglage kennt und sich traut, sie auszunutzen, kann sicher um Kurven fahren, wird nicht aus Angst vor Schräglage geradeaus ins Verderben rauschen.
Nun sind die Voraussetzungen da, um sich mit der Linienwahl zu beschäftigen. Weil zu viele Leute die falsche Linie wählen, haben Unfallforscher in Österreich diese Markierungen entwickelt, die oben im Bild zu sehen sind. Der Sinn: genügend Abstand zum Gegenverkehr. Die Räder des Motorrades sollten dort rollen, wo die kurvenäußeren Räder eines Autos rollen würden. Das gilt vor allem in Linkskurven, eingeschränkt aber auch in Rechtskurven. Warum? Weil wir weiter schauen können, früher sehen, wie es weitergeht und ob frei ist, und so früher ans Gas können. Dort nämlich beginnen in den Zeichnungen (siehe Bildergalerie und Zeichnung unterhalb dieses Absatzes) stets die grünen Linien. Selbstverständlich kann ich mit passendem Tempo auch ohne Bremsen konstant durch die Kurven schwingen. Das ist sogar eine wunderbare Übung für den Kurvenalltag und nebenbei sehr entspannend, zugleich wird klar, ob Linie und Tempo wirklich passen.
Keine Ideallinie wie auf der Rennstrecke
Wir wechseln also ständig von der einen auf die andere Seite unseres Fahrstreifens. Man sollte sich diese Linie konsequent angewöhnen, auch wenn es gerade nicht nötig erscheint. Lediglich Störungen in der Fahrbahnbeschaffenheit sollte einen davon kurz abbringen, wenn also Stellen mit mangelndem Grip umfahren werden müssen. Auch bei Regen sollte von der Sicherheitslinie nicht abgewichen werden, stattdessen sollte man lieber einfach etwas langsamer fahren.
Wir wissen einfach nicht, was als Nächstes kommt. Ich darf daher nicht die Ideallinie suchen wie auf der Rennstrecke, die möglichst flach die komplette Fahrbahn völlig ausnutzt, um möglichst schnell zu sein. Sondern muss so fahren, dass ich möglichst früh viel sehe und mit allem rechne. Die Fahrfertigkeiten, dass die Linienwahl kein Zufall bleibt, die kann ich mir am besten bei einem Training aneignen, wo Fehler nicht gleich wehtun, beispielsweise in der Kurvenschule des MOTORRAD action teams oder beim Fahrdynamik- und Schräglagentraining. © Motorrad-Online
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