Der von Mitte der Sechziger- bis Mitte der Siebzigerjahre gebaute Jensen Interceptor stammt – wie der legendäre Jaguar E-Type (siehe Video) – zweifellos aus einer goldenen Ära des britischen Automobilbaus. Dabei war das wunderschöne Sport-Coupé gar kein kompletter Brite; sein Herz stammte bekanntlich aus den USA. Chrysler lieferte den erst 6,3 und später 7,2 Liter großen V8-Motor zu, der je nach Modellversion zwischen 330 und 390 PS leistete. Das maximale Drehmoment variierte zwischen 474 und 664 Newtonmetern.
Video: Unleashed by E-Type UK: Der Restomod Jaguar im Video
Das sind für die damalige Zeit beeindruckende Werte, die ebenso einem modernen Gran Turismo gut zu Gesicht stehen würden. Doch Jensen International Automotive (JIA), die Nachfolge-Firma der schon 1976 untergegangenen Marke, hatte etwas anderes im Sinn, als sie den Interceptor in modernisierter Form auf den Markt brachte. Mehr Power sollte der Sportwagen natürlich haben, doch auch die Fahr- und Haltbarkeit des Antriebs sollte dem originalen überlegen sein. Von Spritverbrauch und Emissionsverhalten ganz abgesehen.
Mit Sauger- oder Kompressor-V8
Deshalb wagen die in Banbury ansässigen Briten etwas, das manchem Jensen-Fan wie Blasphemie vorkommen dürfte: Sie wechseln nicht nur den Motorenlieferanten, sondern laufen gar zum Erzrivalen über. Statt eines Chrysler-V8 macht sich fortan nämlich ein Triebwerk aus dem General-Motors-Regal im Bug breit. Welches genau, kann sich jeder Kunde und jede Kundin aussuchen. Der 436 PS und maximal 576 Newtonmeter starke LS3-6,2-Liter-V8 war der Standardmotor der Corvette C6, wird von GM weiterhin als "Crate Engine" (in einer Kiste verschickter Motor) angeboten und dient in der Saugmotor-Variante des Interceptor R als Antriebsquelle.
Eine deutlich stärkere Alternative ist der LT4-V8 aus dem GM-Regal, wie er unter anderem in der Corvette C7 Z06 zum Einsatz kam. Hier handelt es sich ebenfalls um einen Small-Block-V8 mit 6,2 Litern Hubraum, allerdings aufgeladen per Eaton-Kompressor. Entsprechend gut ist das Triebwerk bei Kräften: Diese "Crate Engine" preist Chevrolet auf seiner Website mit 649 PS und höchstens 854 Newtonmetern an; die Werte dürften beim stärksten Interceptor R ebenfalls anliegen. Die Null-auf-Hundert-Angabe von 3,6 Sekunden ist jedenfalls ein starkes Indiz für einen starken Motor.
Neuerdings mit Hybridantrieb
Diese Antriebsquelle dient auch bei der jüngsten Jensen-Neuinterpretation als Basis. Als Jensen FF Hybrid verfügt das Restomod-Coupé darüber hinaus über zwei E-Motoren an der Vorderachse, die in einem zusätzlichen Hilfsrahmen sitzen und die Systemleistung auf 781 PS pushen sollen. Seine Energie zieht das Elektro-Duo aus einer extern aufladbaren 35-Kilowattstunden-Batterie. Obendrein macht die Stromunterstützung aus dem Jensen einen Allradler, was die Namensgebung erklärt: Bereits der V8-Motor des Jensen FF von 1966 trieb alle Räder an. Der Brite war also ein waschechter 4x4-Pionier; der als solcher immer wieder gepriesene Audi Quattro kam erst 14 Jahre später auf den Markt. Übrigens: Der Verbrenner und die E-Motoren können den modernen Restomod-FF auch unabhängig voneinander antreiben.
Natürlich ist der Restomod-Umbau nicht mit einer simplen Herztransplantation vollendet. Da Jensen originale Interceptor-Chassis für seinen Umbau verwendet, müssen sowohl die Aufnahmen als auch die Nebenaggregate, Sensoren und Verkabelung angepasst werden. Ähnliches gilt beim Getriebe, bei dem es sich je nach gewähltem Motor um eine Sechs- oder Achtgang-Automatik aus dem GM-Regal handelt. Ebenfalls von General Motors stammt die neue Hinterachse des Jensen Interceptor und FF mit Einzelradaufhängung. An den Antrieb angepasst zeigen sich zudem der Kraftstofftank samt Hochdruckpumpe und der Edelstahl-Auspuff mit zwei Endrohren.
Fahrwerks-Feinschliff
Die Lenkung und die vordere Doppel-Querlenker-Radaufhängung zeigen sich komplett überholt. Bei Letzterer führen neue Montagepunkte und die entsprechend optimierte Geometrie mit erhöhtem Nachlauf und negativem Radsturz ebenso zu einer besseren Agilität wie das Gewindefahrwerk mit neuen Federn, einstellbaren Dämpfern und neuem Stabilisator. Ein Sperrdifferenzial an der Hinterachse stellt zusätzlich optimale Traktion sicher – beim Kompressor-Interceptor in Verbindung mit einer elektronischen Traktionskontrolle inklusive Launch Control.
Die bei der Saugmotor-Version rundum 7x17 Zoll großen Räder sind dem Original-Jensen-Design nachempfunden und tragen Reifen im Format 235/50 VR17. Wer sich für den Interceptor mit LT4-V8 entscheidet, kann zwischen den Formaten 17, 18 und 19 Zoll wählen. Die Bremsanlage aus dem Hause AP Racing arbeitet aber in beiden Varianten mit ABS sowie vorn mit 330-Millimeter-Scheiben und Sechskolben-Sätteln. Hinten kommen 280er-Scheiben samt Einkolben-Sätteln zur Anwendung.
26 bis 30 Wochen für den Umbau
Von einer verlängerten Frontschürze, einer anderen Windschutzscheibe, elektrisch verstell- und beheizbaren Außenspiegeln sowie neuen Leuchten vorn und hinten abgesehen, bleibt die Karosserie im Urzustand. Im Zuge aller von Hand innerhalb von 26 bis 30 Wochen ausgeführten Arbeiten führt Jensen International Automotive aber natürlich eine Komplett-Restauration durch. Das Originalauto, nach dem JIA entweder selbst fahndet oder das die Kundschaft auch mitbringen kann, wird komplett zerlegt, auf Vordermann gebracht und umfassend vor Rost geschützt. Natürlich erhält der Interceptor zudem eine neue Lackierung in Wunschfarbe sowie neuen Chrom auf den Anbauteilen.
Alle Sitze, Verkleidungsteile und den Dachhimmel hüllt JIA in edles britisches Leder. Für das Armaturenbrett gilt das nur in der Kompressor-Variante; wer sich für den Saugmotor-Interceptor entscheidet, erhält aufpreisfrei "nur" einen aufgearbeiteten Instrumententräger. Elektrische Sitze kosten in der Basisversion ebenfalls extra, wobei die Restomodder öffentlich keine Summen preisgeben. Eine überarbeitete Klimaanlage, ein Moto-Lita-Lenkrad, hochwertige Teppiche und einen neu ausgekleideten Kofferraum gibt es in beiden Interceptor-Varianten aber serienmäßig.
Auch als Cabrio erhältlich
Alle Instrumente tauscht JIA durch elektronische Pendants aus. Die Mittelkonsole passen die Briten an die Dimensionen an, die das GM-Getriebe und der zugehörige Wählhebel vorgeben. Zudem zieht ein Infotainment-System in Retro-Optik ein, das mit Bluetooth, modernen Lautsprechern und auf Wunsch mit Navigations-System arbeitet. Eine neue Verkabelung samt Sicherungen, Relais und Steckern stellt sicher, dass die Elektrik zuverlässig arbeitet.
JIA bietet sowohl den LS3- als auch den LT4-Umbau übrigens auch für das viel seltenere Interceptor Cabrio an. Hier wird im Verlauf der Restaurierung natürlich ebenfalls das Verdeck aufbereitet. Wer so weit nicht gehen möchte, kann alternativ ein Stoff-Sonnendach von Webasto ins Coupé-Blech einziehen lassen. © auto motor und sport
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