Am Mittwoch startet in Berlin der Dieselgipfel. Politik und Industrie beraten, wie sie mit den Erkenntnissen aus dem Abgas-Skandal umgehen wollen und wie sich die Schadstoffbelastung in Ballungsräumen eindämmen lässt.
Das Umweltbundesamt (UBA) geht davon aus, dass Diesel-Autos die Luft in vielen deutschen Städten auch in diesem Jahr stark belasten. Im vergangenen Jahr seien in mehr als 80 Orten EU-Grenzwerte für gesundheitsschädliche Stickstoffdioxide überschritten worden, sagte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger vor dem Berliner Dieselgipfel der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch).
Aus den bisherigen Messergebnissen lasse sich bereits jetzt schließen, "dass die Stickstoffdioxid-Belastung in 2017 ähnlich hoch wie im letzten Jahr sein wird." Hauptursache für die schlechte Atemluft in den Städten seien eindeutig Diesel-Autos.
Deswegen kommen am Mittwoch Vertreter aus Politik und Wirtschaft in Berlin zum Dieselgipfel zusammen. Hier sollen Lösungen erarbeitet werden, wie mit der Schadstoffbelastung umgegangen werden soll. Die folgenden Ansätze sind derzeit im Gespräch und könnten auf Diesel-Halter zukommen.
Software-Lösung
Die sogenannte Software-Lösung wird von den Autobauern bevorzugt. Dabei wird in die Motorsteuerung eingegriffen. Sie sitzt in einem kleinen Kasten im Motor und verarbeitet alle Informationen von den Sensoren, etwa Geschwindigkeit und Temperatur, und regelt verschiedene Funktionen und Bauteile - darunter auch die Abgasreinigung. Im Zuge der Abgasaffäre wurde bekannt, dass das Abgas etwa bei hohen oder niedrigen Temperaturen in einigen Modellen nicht gereinigt wird. Die Autobauer erklären das mit dem Schutz des Motors.
Aus Sicht der Industrie wäre ein Software-Update die schnellste Methode, um die Schadstoffbelastung vor allem in den Ballungsgebieten zu senken. Fahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5 und zum Teil auch Euro 6 sollten deshalb flächendeckend nachgebessert, Diesel- Fahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 1 bis 4 mit Hilfe einer "Öko-Prämie" beschleunigt ausgetauscht werden.
Doch vor allem um die Öko-Prämie gibt es Streit: Die Wirtschaft wünscht sich steuerliche Vorteile für ihre Kunden seitens der Politik, die Politik will, dass die Kosten für eine neue "Abwrack-Prämie" von der Wirtschaft getragen werden.
Nach Informationen des "Spiegel" wird die Software-Lösung in der Abschlusserklärung des Dieselgipfels den Zuschlag erhalten. Millionen von Fahrzeugen sollen demnach auf Kosten der Industrie "optimiert" werden. Man verspreche sich Abgaseinsparungen in Höhe von 25 Prozent.
Hardware-Lösung
Einigen Politikern, vor allem aber Umwelt- und Verbraucherschützern geht die Software-Lösung nicht weit genug. Sie halten sie weder für ausreichend, noch rechtens und fordern Rückrufe und Pflicht- Nachrüstungen für alle Diesel der Abgas-Normen 5 und Euro 6. Diese Fahrzeuge müssten am Motor nachgerüstet werden. So wäre beispielsweise die Nachrüstung bei älteren Modellen mit einem modernen SCR-Katalysator denkbar. Zusammen mit der Harnstofflösung AdBlue, die in den Abgasstrom eingespritzt wird, werden am Katalysator die gesundheitsschädlichen Stickoxide reduziert und zurück in Stickstoff umgewandelt.
Diese Methode sehen Fachleute allerdings kritisch, da viele Motorkomponenten genau aufeinander abgestimmt sind. Das Hinzufügen eines neuen Systems ist technisch schwierig bis unmöglich.
Allerdings will die Politik laut Informationen des "Spiegel" die Hersteller dazu verpflichten, die Abgas-Reinigung mit "höchstem Wirkungsgrad zu betreiben". Derzeit werde die Einspritzung von AdBlue von den Herstellern gedrosselt, um den Kunden ein Nachfüllen des Stoffs zwischen zwei Wartungsintervallen zu ersparen.
Fahrverbote
Eine Radikallösung, um die Schadstoffbelastung in Ballungsgebieten zu senken, ist das Fahrverbot. Dabei dürften alle Dieselfahrzeuge beispielsweise in Stuttgart nicht mehr in die Stadt fahren. Wurde diese Lösung vor allem von den Landesregierungen und der Industrie kategorisch abgelehnt, sehen Umweltverbände darin ein probates Mittel – und bekamen vor Gericht, im Fall Stuttgart, Recht. Damit stünde der Stadtverwaltung dieses Mittel zur Verfügung, um die Luftqualität zu verbessern. Mit schweren Auswirkungen für Diesel-Besitzer: Sie wäre im Fall des Falles nicht nur aus der Stadt ausgesperrt, vor allem der Wiederverkaufswert ihres Fahrzeugs würde aufgrund der Fahrverbote deutlich sinken.
Die Durchsetzung des Fahrverbots könnte anhand der Kennzeichen und einer automatisierten Kennzeichen-Erkennung überprüft werden. Neben Stuttgart wollen auch München und Düsseldorf über Fahrverbote beraten.
Blaue Plakette
Die immer wieder ins Spiel gebrachte "Blaue Plakette" ist eine entschärfte Form des Fahrverbots. Wie mit den bereits bekannten roten, gelben und grünen Umweltplaketten könnten bestimmte Fahrzeuge – beispielsweise ältere Diesel-Modelle – aus abgegrenzten Stadtgebieten gehalten werden. Dort kann sich die Luftqualität verbessern. Doch auch hier ist vor allem die Politik gespalten: Bislang gibt es seitens der Regierung noch kein mehrheitsfähiges Konzept.
Entschädigungen und Fahrzeugrücknahmen
In Teilen der Politik sind ebenfalls Entschädigungen oder sogar die komplette Rücknahme des Fahrzeugs im Gespräch. So fordern beispielsweise die Grünen: Sollten die Umrüstungen die Funktion der Autos irgendwie einschränken, müssten die Besitzer angemessen entschädigt werden. Zudem müsse man darüber nachdenken, wenn Software-Updates nicht ausreichten und Nachbesserungen an den Bauteilen nicht möglich seien, das Fahrzeug komplett zu ersetzen.
Auch wenn diese Forderungen sehr weit gehen, einig ist sich die Politik im Fall der Kostenübernahme parteiübergreifend: Umrüstungen egal welcher Art dürfen weder Steuerzahler noch Fahrzeughalter finanziell belasten. Hier sieht man eindeutig die Industrie in der Pflicht. (mgb / dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.