Rennrad-/Gravelbike-Felgen werden immer breiter. Reifen auch. Warum eigentlich? Wie wirkt sich das auf Fahrgefühl, Aerodynamik, Sicherheit aus? Und wo geht die Reise hin? Hier gibt’s die Fakten.

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Was ist gemeint mit "Felgen und Reifen werden immer breiter"?

Die seit einigen Jahren feststellbare Tendenz, dass die Innenweite von Felgen, auch Maulweite genannt, sowie die nominelle und tatsächliche Reifenbreite zunehmen. Bis in die 1990er Jahre waren Rennradfelgen innen gerade mal 15 Millimeter breit und wurden mit schmalen 20-Millimeter-Reifen gefahren. Abseits asphaltierter Wege war am Cyclocrossrad bei 33 Millimetern Reifenbreite Schluss. Lange Zeit waren dann zunächst 23, später 25 Millimeter breite Rennradreifen Standard, montiert meist auf 17, später 19 Millimeter breiten Felgen. In den vergangenen Jahren hat sich diese Entwicklung stark beschleunigt, auch durch die am Gravelbike gesammelten Erfahrungen. 28 bis 32 Millimeter breite Reifen auf mindestens 20 Millimeter weiten Felgen sind am Rennrad aktueller Standard, am Gravelbike sind 40-mm-Pneus bei 22er-Maulweite nahezu schmal. Kurz: Reifen und Felgen werden zunehmend breiter.

Welche Vor- und Nachteile bieten breitere Reifen und Felgen?

Breitere Reifen können mit geringerem Luftdruck gefahren werden. Das verkürzt die Kontaktfläche vom Reifen zum Boden, wodurch der Pneu leichter und schneller über Unebenheiten rollt, dabei besser dämpft und mehr Grip bietet. Im Idealfall ist das Fahrgefühl weniger hart, man fährt sicherer – nicht zuletzt auf nassem Asphalt – und ist je nach Untergrund schneller. Dem steht gegenüber, dass breitere Reifen und Felgen schwerer sind, das Mehrgewicht liegt weiter außen (rotierende Masse). Ergebnis: ein spürbar weniger sportlich-spritziges Fahrgefühl. Problem: Wird versucht, die Gewichtszunahme an Reifen und Felge technisch zu lösen, etwa durch höherwertige Materialien, schlägt sich das schnell in höheren Preisen nieder. Last, but not least bietet die größere Stirnfläche mehr Luftwiderstand: Die Aerodynamik wird schlechter.

Pro und Contra

✔ Komfort

✔ Grip

✔ Rollwiderstand

❌ Gewicht

❌ Aerodynamik

❌ unter Umständen teuer

Wie beeinflussen sich Reifen- und Felgenbreite gegenseitig?

Die Maulweite einer Felge beeinflusst maßgeblich, wie ein Reifen "baut" und ob er sicher sitzt. Hannah Ferle, Produktmanagerin bei Continental, erklärt es an Extrembeispielen: "Ein breiter Reifen auf einer zu schmalen Felge nimmt die Form einer Glühbirne an. Die Aufstandsfläche auf dem Boden wird runder, das Fahrgefühl schwammiger, die Lenkung ist schwerer einzuschätzen. In Extremfällen kann der Reifen wegknicken und vom Felgenhorn springen." Ähnlich problematisch ist es bei einem schmalen Reifen, der auf einer zu breiten Felge montiert wird: "Hier wird der Reifen ganz flach, weil die Felge ihn in eine Breite zieht, die er eigentlich nicht hat. Seine Aufstandsfläche ist schmal und elliptisch, das Fahrgefühl wird härter, weil die Karkasse nicht mehr ausreichend flexen kann. Die Lenkung wird ‚holziger‘ und schwer einschätzbar, zudem steigt die Gefahr von Durchschlägen." Bei beiden Varianten verschlechtert sich zudem die Aerodynamik, da Luftströme früher abreißen. Die Aufgabe für die Industrie, aber auch Rennradfahrerinnen und -fahrer ist folglich: Reifenbreite und Felgenmaulweite so aufeinander abstimmen, dass diese gut korrelieren. Damit der Reifen sicher sitzt, harmonisch baut – und sich gut fährt.

Wie finde ich die passende Kombination von Reifenbreite und Felgenmaulweite?

Es gibt nicht die eine zulässige Kombination von Reifenbreite und Felgenmaulweite. Es bietet sich immer ein Spektrum an kompatiblen Abmessungen – einsehbar in der hier abgedruckten Tabelle der European Tyre & Rim Technical Organisation (ETRTO). Vor allem sollten Reifenbreite und Felgenmaulweite immer individuell passend zum Fahrstil, Untergrund, Körpergewicht und Luftdruck gewählt werden. Wer zum Beispiel oft schnell auf Flüsterasphalt fährt, sollte eine andere Kombi wählen als jemand, der gerne lange auf mitunter schlechtem Asphalt fährt und auch mal kurze nicht asphaltierte Strecken mitnimmt. Sprich: Die Reifen- und Felgendimensionen bieten viel individuelles Tuningpotenzial. Um dennoch eine Orientierung zu bieten:

Strassenrennrad für Wettkämpfe

➡ Schwerpunkt Tempo: 26- bis 30-mm-Reifen, Maulweiten von 20 bis 23 mm.

Endurance-Rennrad für viele Untergründe

➡ Schwerpunkt Komfort und Vielseitigkeit: 30- bis 34-mm-Reifen auf Maulweiten von 22 bis 25 mm.

Gravelbike für nicht asphaltierte Untergründe

➡ Schwerpunkt Schotter und Bikepacking: 35- bis 50-mm-Reifen auf Maulweiten 22 bis 27 mm.

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Wie finde ich meinen korrekten Luftdruck?

Der ist sehr individuell und hängt von Körpergewicht, Untergrund, Reifen- und Felgenbreite, Zuladung, Witterung, Fahrrad und manchem mehr ab. All diese Parameter kann man zum Beispiel auf der Website von Zipp in eine Maske eingeben und erhält dann einen Vorschlag für den individuell einzustellenden Luftdruck. Etwas Ähnliches bietet Schwalbe an – derzeit nur für (E-)Mountainbiker, in Kürze soll eine Luftdruck-App verfügbar sein. Grundsätzlich gilt: Je breiter der Reifen, umso geringer kann der Luftdruck sein. Und keine Hemmungen: Auch 80-Kilo-Athleten können auf nassem Asphalt 32-mm-Reifen durchaus nur mit 3,5 Bar befüllen. Auch wenn sich das vor allem für eingesessene Rennradfahrerinnen und -fahrer vielleicht ungewohnt anhören und zunächst auch so anfühlen mag.

Wie wichtig ist Aerodynamik?

Breitere Reifen und Felgen vergrößern die Stirnfläche – der Luftwiderstand steigt. "Um diesen aerodynamischen Nachteil zu kompensieren, muss die Felgenform optimiert werden", erklärt Jean-Paul Ballard, Aerodynamikexperte von Swiss Side, "eine breitere Felge und ein nicht zu breiter Reifen bedeuten einen harmonischeren Übergang von Felge zu Reifen. Durch die geradere Reifenflanke reißen Luftströme später ab, der ‚Segeleffekt‘ ist somit geringfügig besser. Meistens gleicht dies aber nicht die Verluste durch die größere Stirnfläche aus." Laut Ballard gibt es für jedes Einsatzszenario (Straße, Endurance, Gravel) Sweetspots des aerodynamisch Sinnvollen für Reifen- und Felgenbreiten. Bei größeren Breiten überwiegen dann aerodynamisch die Nachteile, zudem steige das Gewicht. Ganz anders die Philosophie von Zipp. Category Manager David Morse betont: "Die Aerodynamik-Optimierung ist auf einem hohen Niveau ausgereizt. Wir sind überzeugt: Je höher der Komfort – vor allem durch breitere Reifen und Felgen und niedrigeren Luftdruck –, umso länger kann der Fahrer mehr Power aufs Pedal bringen. Und fährt dadurch unterm Strich schneller. Sprich: Der Geschwindigkeitszugewinn durch Komfortsteigerung ist größer als der Geschwindigkeitsverlust durch geringfügig schlechtere Aerodynamik." Damit das Gewicht dabei nicht zu hoch wird, setzt Zipp auf eine umstrittene Technologie: hakenlose Felgen.

Was ist hookless, und warum ist es umstritten?

Bei klassischen Hakenfelgen sind die Flanken oben nach innen gedreht und bilden so einen Haken. Der verhindert, dass der Reifen von der Felge springt. Vorteil: Alle Reifentypen können bedenkenlos verwendet werden, also sowohl klassische Draht- und Faltreifen als auch Tubeless-Pneus. Und: Der Sicherheitspuffer ist größer, sollte man Reifen- und Felgenbreite falsch kombinieren. Die Haken reduzieren allerdings die effektive Maulweite und beeinflussen, wie der Reifen baut. Hookless-Felgen hingegen haben gerade Felgenflanken ohne Haken, der Reifen rastet "nur" in die umlaufenden "Höcker" ein. Das spart Material und folglich Gewicht, vereinfacht und vergünstigt die Felgenproduktion und reduziert durch den harmonischen, geraden Aufbau des Reifens die Gefahr von Durchschlägen. Allerdings ist das Risiko fehlerhafter Nutzung durch technisch weniger versierte Fahrerinnen und Fahrer größer: Hookless-Felgen setzen zwingend auf Tubeless-Reifen, da die über einen verstärkten Wulstkern verfügen und somit sicherer in der hakenlosen Felge sitzen. Zum anderen ist es essenziell, die richtige Reifenbreite zu verwenden und den maximal zulässigen Luftdruck einzuhalten. Wer eine dieser Vorgaben nicht beachtet, riskiert, dass der Reifen unter Umständen von der hakenlosen Felge abspringt. Was im schlimmsten Fall zum Sturz führen kann.

Wie sicher ist die Nutzung von Hookless-Felgen?

Sofern man einen Tubeless-Reifen mit zur Maulweite passender Breite montiert und den auf Felge und Reifen vermerkten maximalen Luftdruck nicht überschreitet, spricht nichts gegen die Nutzung von Hookless-Felgen. Das Risiko der Nichtbeachtung und entsprechenden Fehlnutzung existiert aber. Hersteller versuchen, dieses durch breit angelegte Informationskampagnen zu minimieren: Aufkleber in Warnfarben auf den Felgen, dauerhafte Aufdrucke auf Felgen und Reifen, Schulungen in Fachhandel und Werkstätten, Information durch Websites, Social-Media-Kanäle und Videos sowie Pressearbeit. "Wir beobachten eher Probleme mit älteren bzw. erfahreneren Sportlerinnen und Sportlern, die schon lange Rennrad fahren und sich schwer von Angewohnheiten trennen können – wie prall gefüllte Reifen oder leichte Faltreifen", erklärt David Morse von Zipp. "Rookies sind oft sehr wissbegierig, aufmerksam und sorgfältig im Umgang mit der für sie noch neuen Rennradtechnik." Andere Hersteller wie Newmen oder DT Swiss haben sich wieder von Hookless bei Rennrad- oder Gravel-Felgen mit Verweis auf mangelnde Sicherheit verabschiedet. Ralf Eggert von DT betont: "Mit Haken gibt es keine Einschränkungen bei der Reifenwahl, größere Freiheit beim Luftdruck und nach unseren Messungen keine Nachteile bei der Aerodynamik. Dazu die größere Sicherheit – wir sehen keine Veranlassung für Hookless im Road-Bereich."

⚠ Hookless-Felgen dürfen ausschließlich mit Tubeless-Reifen in zur Felgenmaulweite passenden Breite sowie mit dem maximal zulässigen Luftdruck gefahren werden!

Gibt es Sonderfälle?

Zipp propagiert eine Felgen-Reifen-Kombination, die laut ETRTO-Tabelle nicht empfehlenswert ist: Die satten 32 Millimeter Maulweite der neuen Zipp 303 XPLR-Gravel-Laufräder dürften demnach nur mit mindestens 58 (!) Millimeter breiten Tubeless-Reifen bestückt werden – Zipp gibt sie aber zur Nutzung bereits ab 40 Millimetern frei. "Wir haben mit verschiedenen Reifenherstellern Tests durchgeführt und weitere Reifen-Felgen-Kombinationen identifiziert, die bedenkenlos gefahren werden können, obwohl sie außerhalb der ETRTO-Standards liegen", so David Morse von Zipp. Jakob Maßen, Produktmanager von Schwalbe, könnte sich vorstellen, dass die ETRTO-Tabelle angepasst werden muss: "Durch Tubeless und Hookless gibt es neue Anforderungen, die von den Standardtests bislang noch nicht richtig berücksichtigt werden. Der ISO-Absprungtest etwa wird mit dem 1,1-fachen des maximal erlaubten Luftdrucks durchgeführt und dauert fünf Minuten – unserer Meinung nach zu wenig Puffer gegenüber Fehlnutzung. Wir gehen beim Thema Sicherheit keinerlei Kompromisse ein und testen deshalb mit dem 1,6-fachen des Maximaldrucks bei einer Stunde Laufzeit, denn die meisten Schäden treten nach 20 bis 30 Minuten auf ... Durch unsere Tests können wir sagen: Tubeless-Reifen von Schwalbe sind zu 100 Prozent Hookless-kompatibel." Zipp verweist bis zu einer möglichen ETRTO-Freigabe auf Kompatibilitätslisten auf seiner Website.

Wie geht’s bei Reifen- und Felgenbreiten weiter?

"Wir sehen klar den Trend zu breiteren Reifen", sagt etwa Hannah Ferle von Continental, "es gibt aber auch Grenzen: Dass 40 Millimeter zum Standard am Rennrad werden, wage ich zu bezweifeln." Auch bei DT Swiss geht man davon aus, dass sich die derzeitigen Lösungen nahe am Optimum bewegen: "Immer breiter ist nicht immer sinnvoll, es geht ja immer darum, für einen bestimmten Einsatzzweck das ideale Set-up aufzubauen", sagt Ralf Eggert von DT, "und der Markt ist konservativer als man denkt. Radsportler springen nicht auf jeden Trend auf und nutzen Laufräder im Durchschnitt fünf Jahre. Breitere Reifen und größere Maulweiten kommen erst bei einem Neukauf infrage" Definitiv angekommen sind sie im Profiradsport: "Die von uns ausgerüsteten Straßenteams werden 2025 vermehrt mit 30-Millimeter-Reifen am Start stehen", sagt Jakob Maßen von Schwalbe. Das Maß, mit dem Tadej Pogačar bereits 2024 Giro und Tour gewann.  © Bike-X