Der Winter kommt jedes Jahr so überraschend wie Weihnachten: Je nach Region fällt zwischen Oktober und Dezember der erste Schnee, Straßen sind vereist und der letzte begreift, dass Sommerreifen längst nicht mehr das Richtige sind, um sicher nach Hause zu kommen.

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Doch was gilt wirklich beim Autofahren im Winter? Es gibt viele Mythen und vermeintliche Regeln. Nicht immer sind populäre Weisheiten komplett falsch, manchmal ist es nur etwas komplizierter. Wir erklären, was im Winter gilt – ganz einfach und verständlich.

Mythos 1: Der Bremsweg verdoppelt sich

Auf Schnee kann der Bremsweg drei- bis viermal so lang sein wie auf trockener Straße. Da hilft nur: Abstand halten. Am besten den ganzen Tachowert, also 50 Meter bei 50 km/h. Auch mit Winterreifen. Bremsen ist vor der Kurve sicherer als in der Kurve. Vom Motormoment befreite Räder können höhere Lenk- und Seitenführungskräfte übertragen. Im Notfall sollte schnell und hart aufs Bremspedal getreten werden, um möglichst viel Bewegungsenergie abzubauen. Das Fahrzeug bleibt dank ABS trotzdem lenkbar. Man kann also im letzten Moment noch versuchen, um das Hindernis herumzulenken, wenn der Bremsweg nicht reicht.

Mythos 2: Gas geben stabilisiert das Auto

Schieben über die Vorderräder, Ausbrechen oder Schwänzeln des Hecks: Wenn das Fahrzeug instabil wird, sofort die Kupplung treten oder bei Automatikfahrzeugen vorsichtig vom Gas gehen, damit die Antriebsräder frei drehen können. Dann stabilisiert sich das Auto schneller. Bei Fronttrieblern, die untersteuern und über die Vorderräder schieben, hilft auch gefühlvolles Bremsen unterhalb der ABS-Regelgrenze. Außerdem ist eine schnelle Reaktion am Lenkrad gefordert, nämlich Gegenlenken. Weniger ist hierbei eindeutig mehr. Eine Viertel Lenkradumdrehung reicht meist. Wer das Lenkrad zu weit herumreißt, überspannt den Bogen: Die Räder stehen quer zur Fahrtrichtung, sodass sie keine Lenkkräfte übertragen können. Wenn das Auto außer Kontrolle gerät: Hart bremsen, Geschwindigkeit abbauen.

Mythos 3: Die Traktionskontrolle hilft beim Anfahren

Das Stabilitätsprogramm ESP verhindert durch Senken der Motorleistung und Bremsen einzelner Räder in zu schnell gefahrenen Kurven viele Unfälle. Doch bei der Bergfahrt auf verschneiten Straßen führt die Elektronik dazu, dass das Auto irgendwann steht. Denn wegen der durchdrehenden Räder regelt es die Motorleistung immer weiter herunter, das Auto wird immer langsamer. Hier hilft es nur, die Traktionskontrolle, wenn möglich, auszuschalten, um den Schwung nicht zu verlieren. Nicht vergessen: Hat man die Steigung hinter sich, alle Systeme wieder einschalten.

Mythos 4: Mit Schneeketten kann ich schneller fahren

Müssen Ketten montiert werden, um verschneite Bergstraßen zu meistern, würde die Traktionskontrolle ebenfalls die effektive Arbeit der Schneeketten stören oder sogar unmöglich machen. Ein leichtes Durchdrehen der Räder ist nötig, damit sich die Ketten durch den Schnee wühlen können. Unbedingt darauf achten, dass die Ketten zu den Felgen passen, und am besten schon einmal zu Hause im Trockenen üben, wie sie montiert werden. Mit Schneeketten sollte nicht schneller als 50 km/h gefahren werden.

Mythos 5: Allrad ist im Winter besser

Autos mit Allradantrieb kommen schneller vom Fleck, wenn's rutschig wird. In Kurven kann Allradantrieb ebenfalls Vorteile bringen, weil er die Kraft auf alle vier Räder verteilt und das Auto so stabilisiert. Beim Bremsen haben Autos mit Allradantrieb jedoch keinen Vorteil. Eher im Gegenteil: Schwere SUV und Geländewagen rutschen wegen ihres Gewichts weiter, benötigen längere Bremswege als kleinere, leichtere Autos. Das ist reine Physik und die kann Allradantrieb nicht aushebeln. Wenn's schiefgeht, steckt der Allradler im Zweifel einfach tiefer im Schnee.

Mythos 6: Winterreifenpflicht

Die Einführung der situativen Winterreifenpflicht in Deutschland vor zehn Jahren gibt den Autobesitzern die Entscheidungsfreiheit, ob sie Winterpneus montieren oder nicht. Sie müssen nur im Fall von schnee- oder eisglatten Fahrbahnen ihr Auto stehen lassen, wenn sie nicht umrüsten. Mit dem Bußgeldkatalog 2014 wurden die Strafen für einen Verstoß verschärft. Zwischen 60 und 120 Euro (bei einem Unfall) sind fällig, in jedem Fall gibt es einen Punkt in Flensburg. Wichtig: Die Polizei darf nur ein Bußgeld ausstellen, wenn tatsächlich mit dem Auto gefahren wurde. Ein Fahrzeug mit Sommerreifen darf also am Straßenrand geparkt werden. Überdies gilt keine Halterhaftung, sondern ausschließlich der Fahrer wird bestraft.

Mythos 7: Oktober bis Ostern

Die klassische Formel für den Wechsel auf Winterreifen lautet nach wie vor: von O bis O. Also von Ostern bis Oktober sollte man mit Sommerreifen fahren, den Rest des Jahres Winterreifen. Das ist wie üblich bei Faustregeln aber nur ein Teil der Wahrheit. Entscheidend ist auch, wo man wohnt. In Alpennähe oder den Mittelgebirgen lässt man die Winterreifen länger drauf als in der norddeutschen Tiefebene. Wer beruflich auf sein Auto angewiesen ist, sollte etwas konservativer wechseln als ein Großstädter, der bei einem Wintereinbruch das Auto auch mal ein paar Tage stehen lassen kann.

Mythos 9: Was bringt ein Winterreifen?

Ein einfacher Blick auf die Zahlen reicht, um zu belegen: Winterreifen wirken. Während im auto motor und sport-Test der beste Winterpneu bei einer Bremsung aus 50 km/h nach gut 26 Metern zum Stehen kam, rutschte das Fahrzeug mit Sommerreifen rund 24 Meter auf der Schneedecke weiter, bis sämtliche Bewegungsenergie endlich abgebaut war. Im Ernstfall wäre die Fahrt vermutlich früher zu Ende gewesen – gebremst durch ein anderes Fahrzeug oder eine Leitplanke.

Mythos 9: Sind All-Season-Reifen winterfest?

Wer auf maximale Sicherheit zu jeder Jahreszeit setzt, sollte auf den saisonalen Wechsel zwischen Sommer- und Winterreifen nicht verzichten. Mit Ausnahme des sommerorientierteren Michelin CrossClimate sind die Produkte, und das sollte jedem Käufer stets bewusst sein, in ihren Eigenschaften eher Winter- als Sommerreifen – mit den entsprechenden Defiziten auf trockenem Asphalt. Auch wer auf sportliche Dynamik setzt, ist bei den All-Seasons völlig fehl am Platz.

Für Wenigfahrer aber, bei überwiegend innerstädtischem Verkehr im Flachland oder für den Einsatz an Mietwagen oder in Fahrzeugflotten sind moderne Allwetterreifen – auch aus Kostengründen – eine ernst zu nehmende Alternative. Und wann sollten Allwetterreifen idealerweise montiert werden? Natürlich besser nicht jetzt im Frühjahr, sondern eher rechtzeitig zur Wintersaison. Denn dann steht, zumindest im ersten Jahr und wenn’s drauf ankommt, die volle Profiltiefe für mögliche Schneefahrten zur Verfügung.

Mythos 10: M+S-Reifen sind Winterreifen

Die Bezeichnung M+S reicht nicht mehr aus, um einen Pneu als Winterreifen zu qualifizieren. Neureifen, die ab 1. Januar 2018 produziert wurden, müssen das Schneeflockensymbol tragen. Für ältere M+S-Reifen gibt es eine Übergangsfrist, ab Oktober 2024 erfüllen aber nur noch Pneus mit Schneeflocke die Winterreifenpflicht. Also aufpassen bei Sonderangeboten! Die Premiumhersteller labeln ihre Produkte schon seit vielen Jahren mit Schneeflocke.

Mythos 11: Welche Geschwindigkeitsklasse muss ein Winterreifen haben?

Die wichtigsten Angaben stehen auf der Reifenflanke, aus dem Kürzel 225/45 R17 91 H kann man ablesen: Der Reifen ist 225 Millimeter breit, die 45 nach dem Querstrich gibt das prozentuale Verhältnis von Reifenhöhe zu Reifenbreite an. Je kleiner die Zahl, desto flacher ist der Reifen. R (für Radialreifen) ist Standard, die 17 nennt den Felgendurchmesser in Zoll. Die Zahl 91 gibt Aufschluss darüber, welche Last dieser Reifen tragen darf – ein Load Index 91 steht für 615 Kilogramm. Der nachfolgende Buchstabe kennzeichnet die Geschwindigkeitsklasse. H bedeutet, maximal sind 210 km/h zugelassen. Bei schnelleren Autos muss dann ein Aufkleber im Sichtbereich angebracht werden.

Video: Das bedeuten die Kennzeichnungen auf Autoreifen

Mythos 12: Regeln in anderen Ländern

Österreich

Situative Winterreifenpflicht zwischen dem 1. November und dem 15. April. Wichtig hier: Als Winterreifen gelten nur Pneus mit mindestens vier Millimeter Profiltiefe. Die Pflicht zum Anlegen von Schneeketten (blaues Schild) gilt in vielen Fällen nicht für Allradfahrzeuge (Zusatzbeschilderung). Höhe der Geldbußen oder Verwarnungsgelder nach Umständen des Falles.

Schweiz

Keine generelle Winterreifenpflicht, aber wer mit Sommerreifen den Verkehr behindert oder in einen Unfall verwickelt ist, dem drohen Bußgelder und auch eine Mithaftung. Schneekettenpflicht wird per Schild angeordnet, in vielen Fällen mit dem Hinweis "Ausgenommen 4x4". Spikes sind erlaubt, aber nicht auf Autobahnen und Schnellstraßen.

Italien

Regional unterschiedliche Regelungen. Im Aosta-Tal gilt vom 15. Oktober bis 15. April eine generelle Winterreifenpflicht, in Südtirol auf der Brennerautobahn und in Bozen ebenfalls. Auf den übrigen Straßen in Südtirol gilt nur die situative Winterreifenpflicht wie in Deutschland. Schneeketten werden per Schild angeordnet, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 50 km/h.

Frankreich

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Keine generelle Winterreifenpflicht. Anordnung über Schilder auf entsprechenden Strecken, die Mindestprofiltiefe liegt bei 3,5 Millimetern. Auch Schneekettenpflicht wird über Schilder lokal und witterungsabhängig geregelt. Ohne Winterausrüstung wird die Weiterfahrt untersagt, zudem ist ein Bußgeld fällig.  © auto motor und sport

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