Audi RS 2 – ist das noch ein Audi? Oder schon ein Porsche? Der Fünfzylinder-Turbo des RS 2 klingt nach Ingolstadt, doch seine 315 PS und 410 Newtonmeter stammen aus Stuttgart-Zuffenhausen. Wie fährt der damals schnellste Serien-Kombi der Welt?
Avant RS2 ist der schlichte Name des schnellsten Kombis, den es 1994 ab Werk zu kaufen gab: Der im Auftrag von Audi bei Porsche entwickelte und gebaute RS2 läuft 262 km/h. In 5,2 Sekunden beschleunigte sein Fünfzylinder-Turbomotor den Kombi im Test von auto motor und sport aus dem Stand auf 100 km/h. Werte auf dem Niveau eines 993 Carrera.
Audi mit Porsche-Genen
Vom 911 stammen die Blinker in der eigenständigen Frontschürze mit ihren drei Lufteinlässen. Eine kleine rot-blau-silberne Plakette im schwarzen Grill deutet auf die noble Abstammung hin: Porsche steht da in kleiner Schrift. Vom Sportwagenhersteller stammen Außenspiegel, 17-Zoll-Cupräder und die Bremsen dahinter. Ein Leuchtenband am Heck soll optische Ähnlichkeit zu den 911-Modellen herstellen, das Kennzeichen ist nach unten in die Heckschürze versetzt.
So fährt der Avant RS2
Beim Reinsetzen fühlt sich der Avant RS2 angenehm kompakt an. Er sitzt bequem wie der Lieblings-Sneaker und ist bei Bedarf sportlich wie ein Laufschuh. Das Interieur wirkt übersichtlich und ist auf Anhieb leicht bedienbar – bis auf den hinter dem Lenkrad versteckten Hebel fürs Licht vielleicht. Die Schalter in der Mittelkonsole wirken robust, die Sitzheizung ist fein regelbar. Alles wirkt sehr solide und zeigt, dass Audi Anfang der Neunziger längst Richtung Premium unterwegs war.
Kunden konnten den RS2 mit Carbon- oder Holzzierleisten bestellen. Die Sitze gab es in Alcantara – teils in mutigen Farben – oder weichem Leder. Unser Exemplar wirkt mit dunklen Holzleisten und hellem Leder edel wie ein Salon. Der Fünfzylinder springt ohne Spektakel an, fällt in einen ruhigen Leerlauf. Von Aufregung keine Spur. Auch beim Losfahren nicht. Die Kupplung geht etwas strammer, als es heute üblich ist, das Getriebe schaltet sich kalt sperrig.
Das ändert sich auf den nächsten Metern. Motor und Getriebe wärmen ihr Öl, das Kühlwasserthermometer und die Zusatzinstrumente in der Mittelkonsole zeigen gesunde Werte. Alle Skalen sind weiß hinterlegt, das galt Anfang der 90er als sportlich. Typisch Audi sind die roten Zeiger. Am nächsten Ortsschild ist der Motor warm, die Straße frei. Vollgas! Vrrrooommm! Was war das?
Der Fünfzylinder hat zwei Gesichter: So lammfromm und kultiviert, wie sich der Motor bei wenig Gas und Drehzahlen unter 3.000 Touren benimmt, fragt man sich, wo die 315 PS sind. Um diese Frage bei Einsatz des Turboladers mit einem Schlag zu beantworten – und die nach den 410 Newtonmeter ebenfalls.
Sind Fahrer und Getriebe warm, geht das Schalten flott und präzise. Nur wer rumeiert wie Oma Trude, wundert sich über die Sperrigkeit des Getriebes und die Bolzigkeit der Federung. Beim Schnellfahren passt alles – dafür ist der RS2 gemacht. Dank Quattro verrutscht auch dann nichts, wenn die Straße nass ist. Und die Porsche-Bremsen sind ohnehin von der kräftigen Sorte.
Warum ist Nogaroblau typisch für den RS2?
Nogaroblau-Perleffekt ist eine Lackierung, die es bei Audi als Sonderfarbe zunächst ausschließlich für den Audi RS 2 gab. Nogaro ist ein Städtchen in der Nähe der Pyrenäen und wahrscheinlich nicht ganz zufällig Pate für den Namen der Farbe. Schließlich verfügt der Ort über eine Rennstrecke, auf der Werkspilot Frank Biela 1993 zwei Läufe zur französischen Tourenwagen-Meisterschaft gewann – die Grundlage für seinen Meistertitel mit einem Audi 80 Quattro.
Nach ihrem Ausstieg aus der heimischen Deutschen Tourenwagen Meisterschaft (DTM) waren die vier Ringe ins gallische Exil gewandert, um weiterhin Lorbeer ernten zu können. Als Biela in seinem Renn-Allradler den zweiten Nogaro-Erfolg feierte, begann Porsche in Stuttgart-Zuffenhausen das sportliche Topmodell für Audi zu bauen: den Audi RS 2.
Der Clou: Dazu setzten die Konstrukteure unter Audi-Technikvorstand Demel, der 1994 auf den Ingolstädter Chefposten wechseln sollte, und Porsche-Projektleiter Michael Hölscher auf die Kombikarosse des Audi 80 Avant. Diese Rucksackversion des Ingolstädter Mittelklässlers war erst 1992 eingeführt worden, nur zwei Jahre später hörte bereits jeder dritte 80 auf den Beinamen Avant. Topmodell war der Audi S2 mit dem 230 PS starken Turbo-Fünfzylinder.
315 PS, 2,2 Liter, 1,4 bar
Aber die selbstbewussten Audi-Techniker ahnten: In dem Reihenmotor, zwischen 1981 und 1986 Grundlage des in der Weltmeisterschaft eingesetzten Rallyemotors, steckt noch mehr – Stoff für den schnellsten Kombi der Welt mit über 300 PS. Dieser Gedanke brachte die Porsche-Entwickler in Weissach mächtig ins Schwitzen: "Zunächst waren wir entsetzt über die Höhe der geforderten Leistung", äußerte Audi RS 2-Projektleiter Hölscher.
Nach eingehender Prüfung verpasste man für das Audi RS 2-Projekt dem traditionsreichen Fünfzylinder einen größeren Turbolader der Pfälzer Spezialisten Kühnle, Kopp und Kausch (KKK), damals eine Tochterfirma von Daimler-Benz, erhöhte den Ladedruck auf 1,4 bar, verbesserte die Ladeluftkühlung sowie die Ansaugwege und verordnete eine größere Auspuffanlage.
Damit schraubten die Leistungsexperten aus dem Weissacher Entwicklungslabor die Motorleistung des Audi RS 2 auf 315 PS und erzielten ein Drehmoment von 410 Newtonmeter bei 3.000 Touren pro Minute. Dennoch reicht die reine Zahlenlehre als Ergebnis aus dem Zuffenhausener Leistungstraining für einen echten Sportwagen-Helden nicht aus.
Gegen den BMW M3 hat der Audi RS 2 keine Chance
In auto, motor und sport scheiterte der Audi RS 2 Anfang 1994 im Vergleichstest gegen den bayerischen Erzrivalen BMW M3 (E36) mit seinem leichtfüßigen Sechszylinder-Sauger: "Für die geballte Ladung Audi spricht nur das Ladevolumen des Kombi-Hecks", urteilte der Testredakteur.
Doch bei einem Youngtimer zählen heute andere Dinge als die nüchtern betrachteten Testwerte von einst. Der Audi RS 2 ist ein Hingucker, stimmig sind Zutaten aus dem Porsche-Programm von der Cup-Felge im 17-Zoll-Format über die 911-Blinker bis zu den Außenspiegeln eingefügt: Damit zeigte sich der erste Sportkombi äußerst selbstbewusst auf den Straßen. Außerdem passt der Audi RS 2 heute mit seiner verhältnismäßig geringen Stückzahl von knapp über 2.900 Exemplaren in das Beuteschema der Sammler.
Dazu kommt als besondere Schärfe die Porsche-Abstammung bei Entwicklung und Endmontage im legendären "Rössle-Bau" des Zuffenhausener Stammwerks: Hier entstanden ab 1986 die insgesamt 284 Porsche der Hightech-Baureihe 959, sowie die Mercedes-Limousine vom Typ 500 E mit dem V8-Vierventiler mit fünf Litern Hubraum. Wo die Marke mit dem Stern bereits aus Tradition war, wollten die vier Ringe wieder hin – ins Premiumsegment. Der fast 100.000 Mark teure Audi RS 2 zündete eine Leuchtrakete, die den Weg zur Spitze kurz erhellte.
Knapp 3.000 Audi RS 2 werden gebaut
Ab März 1994 verkaufte Audi in 18 Monaten genau 2.896 der Avant-Sportler und damit fast 700 mehr als die ursprünglich geplante Auflage. Das ermutigte zu weiteren Taten. Nach einer Pause gehören die Audi RS-Modelle in den verschiedenen Baureihen heute zum Stammpersonal der Audi-Mannschaftsaufstellung.
Zudem zählen die vier Ringe längst wieder zu den sportlichen Topacts in den Rennarenen der Welt. Nur Porsche brauchte lange, um nach dem Fremdauftrag selbst Geschmack an einem sportlichen Kombi zu finden. Erst der Erfolg des Cayenne ermutigte die Sportwagenmarke zur Entwicklung eines eigenen Modells mit vergrößerter Ladefläche und langem Dach. Eine Variante, die inzwischen bei Panamera und Taycan zum Programm gehört. Manche Ideen brauchen eben länger, bis sie sich durchsetzen.
Doch dem Audi Avant RS 2 kann auch der Luxuskombi eines nicht streitig machen: Er ist und bleibt der erste bei Porsche gebaute Kombi, auch wenn er das Markenemblem von Audi trug – selbst die hinreißende Farbe Nogaroblau-Perleffekt stammt ursprünglich aus der Porsche-Palette. © auto motor und sport
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