Teure Klagen, eingebrochene Aktie, wütende Anteilseigner: Für 63 Milliarden Dollar hat der Leverkusener Pharma- und Chemieriese Bayer den US-Konzern Monsanto übernommen – und seitdem ziemlich viel Ärger.

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Nach langen Verhandlungen steht die Übernahme im Herbst 2016 fest: Der Leverkusener Chemieriese Bayer und der amerikanische Pestizid- und Saatguthersteller Monsanto vereinbaren ihre Fusion. Doch erst im Mai 2018 genehmigt das US-Justizministerium die Übernahme unter Auflagen: Bayer muss aus kartellrechtlichen Gründen einige Geschäfte an Mitbewerber abgeben.

Am 7. Juni schließt das Leverkusener Unternehmen die Übernahme ab – für rund 63 Milliarden Dollar. Das Problem: In den USA haben bereits Tausende Verbraucher gegen Monsanto geklagt - wegen des Unkrautvernichters Roundup. Viele Menschen machen das Pestizid für ihre Krebserkrankung verantwortlich. Im Unternehmensbericht für das erste Quartal 2019 vermeldet Bayer 13.400 Kläger bis zum 11. April.

Pauschale, vorschnelle Aussagen findet der Wirtschaftsethiker Stephan Grüninger zwar nicht angebracht: "Aber wie sinnhaft die Übernahme-Entscheidung war, diese Frage muss sich der Vorstand sicherstellen lassen", sagt der Professor für Wirtschaftsethik an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz im Gespräch mit unserer Redaktion. Bayer habe in kürzester Zeit 45 Prozent seines Börsenwerts verloren: "eine unvergleichliche Kapitalvernichtung". Mit einem Verzicht auf diese Fusion hätte der Konzern seines Erachtens wirtschaftlich deutlich erfolgreicher sein können. Der Bayer-Vorstand gibt in einer Stellungnahme an, sich "sehr eingehend und in einer Vielzahl von Sitzungen mit den Chancen und Risiken der Übernahme auseinandergesetzt" zu haben.

Die Risikobewertung habe klar ergeben, dass die Produkte von Monsanto, die den umstrittenen Wirkstoff Glyphosat beinhalten, bei sachgemäßer Anwendung sicher seien. Auf der einen Seite gebe es gesetzliche und ökonomische Grundlagen, auf denen derartige Übernahme-Entscheidungen getroffen werden, so Grüninger. "Aber es gibt eben auch die Erwartungshaltung von Stakeholdern und der Gesellschaft, also ein ethisches Risiko."

Extrem hohe Summen für die Opfer

Erste Entscheidungen von US-Gerichten belasten Bayer schwer: Geschworene in Kalifornien etwa sprechen dem Hausmeister Dewayne Johnson, der Roundup beruflich nutzte, in erster Instanz gut 289 Millionen Dollar zu. Die Summe wird in einem späteren Verfahren auf rund 79 Millionen Dollar gesenkt. Auch dem Krebspatienten Edwin Hardeman stehen nach dem ersten Verfahren rund 80 Millionen Dollar zu, fünf davon als Schadenersatz, der Rest als Strafzahlungen - eine Kategorie, die es im deutschen Recht nicht gibt: Damit sollen Unternehmen für verwerfliches Verhalten bestraft werden. Monsanto hat aus Sicht der Geschworenen nicht ausreichend vor möglichen Gefahren des Glyphosat-Mittels gewarnt. Sie gehen davon aus, dass es erheblich zur Krebserkrankung des Klägers beigetragen hat.

Für Bayer ist das auch deshalb ein Desaster, weil es sich um einen sogenannten Bellwether Case handelt: um ein Musterverfahren, das auch für andere Gerichte richtungsweisend sein könnte. Mitte Mai verurteilen Geschworene in Oakland, Kalifornien, Monsanto dazu, dem Ehepaar Alva und Alberta Pilliod 2,055 Milliarden Dollar zu zahlen. Zwei Milliarden davon sind auch hier Strafschadenersatz. Das krebskranke Ehepaar hatte jahrelang Unkraut in seiner Garagenauffahrt mit Roundup bekämpft.

Umweltschutzbehörde: "Bei sachgerechter Anwendung sicher"

Bayer wehrt sich juristisch gegen die Urteile – und hofft nun auf die Berufungsinstanzen, in denen die horrenden Summen erfahrungsgemäß oft stark gesenkt werden. Dort beschäftigen sich Berufsrichter mit den Fällen und nicht wie zuvor die Geschworenen-Jurys, die durchaus auch emotional entscheiden.

Der Leverkusener Konzern pocht auf wissenschaftliche Untersuchungen und die Einschätzung der US-Umweltschutzbehörde EPA: "Nach Auffassung der EPA sowie weiterer Regulierungsbehörden sind glyphosatbasierte Produkte bei sachgerechter Anwendung sicher und Glyphosat ist nicht krebserregend", betont Bayer. Die EPA-Einschätzung basiere auf Auswertungen einer Datenbank mit mehr als 800 Studien.

Aktionäre entlasten Vorstand nicht

Bei der Hauptversammlung des Konzerns Ende April kommt es zum nächsten Desaster: 55,5 Prozent der Aktionäre stimmen gegen die Entlastung des Vorstands. Einer, der dazu aufgerufen hatte, ist Anteilseigner Christian Strenger, ehemaliger Chef der Fondsgesellschaft DWS. In einem Interview mit der Wochenzeitung Zeit kritisiert er unter anderem, dass der Vorstand es nicht geschafft habe, Einblicke in die schon vor Kaufabschluss anhängigen rund 3.500 Klagefälle zu bekommen.

Aus seiner Sicht haben die Chefs außerdem viel zu viel Geld für die Übernahme gezahlt: "Der Wert von Bayer liegt heute unter dem Preis, den der Konzern für Monsanto bezahlt hat. Wir Aktionäre haben viel Geld verloren. Das wollen wir wiedersehen – und zwar nicht erst in zehn Jahren."

Mammutaufgabe kommt auf Konzern zu

Es wird nicht ruhig um Monsanto: Im Mai kommt heraus, dass PR-Agenturen im Auftrag des Saatgutherstellers illegal Informationen über mögliche Kritiker gesammelt haben sollen, darunter Journalisten, Politiker und Wissenschaftler. Eine Entwicklung, die Stephan Grüninger besonders kritisch sieht: "Das sind Praktiken des US-Konzerns, die die Glaubwürdigkeit erschüttern. Ein kritischer Dialog mit Gegnern sieht anders aus", betont der Professor.

Was die Zukunft Bayers angeht, bleibe nun abzuwarten, wie die Berufungsgerichte entscheiden. Klar ist für Grüninger: Wenn mehr als 13.000 mal Zwei-Milliarden-Dollar-Zahlungen fällig würden, "kann das Unternehmen nicht überleben". Wenn die Urteile mit den hohen Schadensummen zurückgenommen werden, habe sich der Konzern mit der Monsanto-Übernahme zwar nicht komplett "vergiftet", so der Experte. "Dennoch kommt auch dann eine Mammutaufgabe auf Bayer zu: nämlich seine Reputation zurückzugewinnen."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Stephan Grüninger, Professor für Wirtschaftsethik an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung in Konstanz
  • Süddeutsche Zeitung: Die Chronik eines Desasters
  • Zeit Online: Der Bayer-Vorstand ist jetzt auf Bewährung


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