Die Bahn streikt wieder: ab Mittwoch, für sechs Tage. Für viele Berufspendler bedeutet das Chaos, Umorganisieren, Homeoffice. Es ist das vierte Mal innerhalb kurzer Zeit, dass die Bahnangestellten ihre Arbeit niederlegen. Gespräche mit der Geschäftsführung haben in der Zwischenzeit nicht stattgefunden. Ist der Bogen damit überspannt? Ein Arbeitsrechtsexperte ordnet die Lage ein.

Ein Interview

Die Bahn streikt ab Mittwoch wieder. Und das, nachdem schon im Dezember Bahnstreiks für viele Zug-Ausfälle gesorgt hatten. Aus Sicht eines Arbeitsrechtsexperten: Ist das noch in Ordnung oder ist der Bogen überspannt?

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Stefan Greiner: Das Streikrecht ist ein hochrangiges Grundrecht. Insofern kann sich die Gewerkschaft auf die Betätigung eines entsprechenden Freiheitsrechts in unserem Grundgesetz berufen. Das Streikrecht steht allerdings nicht absolut, sondern muss sich einfügen und muss deswegen so ausgeübt werden, dass vom Streikrecht nicht in unverhältnismäßiger Weise Gebrauch gemacht wird.

Die Maßstäbe, die die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte dafür zugrunde legt, sind allerdings sehr weit. Eine Gewerkschaft kann immer selbst entscheiden, wann sie meint, den Streik zu brauchen, um im Verhandlungsprozess ihre Ziele weiter voranzutreiben.

Wie viel Streik ist zu viel Streik?

Gibt es in der Rechtsprechung Beispiele, wann Gerichte entschieden haben, dass ein Streik nicht mehr verhältnismäßig war, weil zum Beispiel zu oft oder zu lange gestreikt wurde?

Die Länge eines Streiks hat noch nicht dazu geführt, dass er als unverhältnismäßig erklärt wurde. Die Unverhältnismäßigkeit stützt sich allgemein auf die Streikauswirkungen. Das heißt: Wenn zum Beispiel die Lieferketten in Deutschland dauerhaft so zusammenbrechen würden, dass die Versorgung nicht mehr gewährleistet sein würde, wäre ein Streik nicht mehr angemessen. Das wäre auch der Fall, wenn mittelbar betroffene Unternehmen in existenzielle Nöte geraten würden, weil sie etwa keine Zulieferteile mehr bekommen.

Steht das bei der Bahn auch im Raum?

Die Bahn versucht, einen Notbetrieb aufrechtzuerhalten. Dazu sind die Parteien des Arbeitskampfs aufgerufen, damit unangemessene Folgen des Streikgeschehens gar nicht erst eintreten.

Was wäre denn eine mögliche Konsequenz, wenn ein Streik als überzogen eingeordnet wird?

Ein Arbeitsgericht würde zunächst – etwa im Wege einer einstweiligen Verfügung – entscheiden, dass der Streik unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist. Wie gesagt: Bis dahin ist es ein weiter Weg, und es handelt sich um absolute Ausnahmefälle. Die Konsequenz einer solchen Rechtswidrigkeit des Streiks wäre dann, dass sich die Gewerkschaft schadensersatzpflichtig machen würde und dass die am Streik teilnehmenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus mit kündigungsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssten.

Für die Bevölkerung zwar unangenehm, aber nicht unzumutbar

Das heißt, die Grenze dessen, was die Bahn der Bevölkerung mit ihren Streiks zumuten kann, ist zumindest aus rechtlicher Sicht aktuell noch weit entfernt?

Ja, vor allem, weil der Notbetrieb dauerhaft aufrechterhalten wird, aber auch, weil es Alternativen zur Bahn gibt. Es herrscht ein Wettbewerb, in dem es konkurrierende Eisenbahnunternehmen gibt. Zur Versorgung der Bevölkerung stehen auch andere Verkehrsträger wie Lkws oder die Binnenschifffahrt zur Verfügung.

Es ist bislang nicht erkennbar, dass eine so existenzielle Krise durch die Streiks eintreten wird, dass es zu Versorgungsengpässen kommt. Auch andere Grundrechte, Leib und Leben, die Berufsfreiheit, die Freiheit der mittelbar betroffenen Unternehmen sind nicht existenziell betroffen. Aber es gibt eine andere rechtlich interessante Thematik.

Welche?

Als neue Strategie hat die GDL nun eine Leiharbeitsgenossenschaft gegründet, mit der sie Arbeitnehmer der Deutschen Bahn abwerben möchte – um sie dann an Eisenbahnunternehmen zurückzuverleihen. Manche argumentieren, die GDL würde dadurch ihre Tariffähigkeit verlieren. Die Begründung: Eine Gewerkschaft repräsentiere nur Arbeitnehmerinteressen, mit der Gründung dieser Genossenschaft werde die GDL aber selbst zum Unternehmen und zu einer Arbeitgeberin.

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Wie lautet Ihre Einschätzung dazu?

Ich halte das nicht für überzeugend, da die GDL unabhängig agiert und es zu keinem Interessenkonflikt kommt. Die GDL ist keine von der Arbeitgeberseite und ihrem Wohlwollen abhängige Institution, sondern agiert äußerst eigenständig. Die Gründung der Leiharbeitsgenossenschaft dient nur dem Zweck, ihre Streitmöglichkeiten und ihre Druckentfaltungsmöglichkeiten zu verbessern.

Die rechtliche Seite ist das eine. Empfinden Sie die Streiks der Bahn aus gesellschaftlicher Sicht als überzogen?

Die Streiks sind zweifellos mit starken Einschränkungen für große Teile der Bevölkerung verbunden. Das ist aber im Grunde ein gewisser Preis, den man in einer freien Gesellschaft zahlen muss. Man könnte sensible Bereiche, in denen es wirklich um die Lebensgrundlagen, um die Mobilität für große Teile der Bevölkerung geht, theoretisch besser vor Arbeitskampfaktivitäten zu schützen.

Das ist eine Diskussion, die seit langem geführt wird, der politische Wille dafür ist bislang jedoch nicht erkennbar. Man müsste dabei ein Modell finden, das trotzdem eine angemessene Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen ermöglicht. Bislang war man immer der Meinung, dass man dafür den Streik in jedem Fall als Mittel braucht.

Über den Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Stefan Greiner ist Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Bonn. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen unter anderem das Tarif- und Arbeitskampfrecht.

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