Über Jahrzehnte waren die beiden Männer hinter dem Aldi-Konzern die reichsten Deutschen. Trotzdem weiß man so gut wie nichts über Karl und Theo Albrecht. "Die Aldi-Story" will ein wenig Licht in das Mysterium bringen. Das gelingt nur bedingt – spannend ist es trotzdem.
Jeder kennt diesen Namen: Aldi. 90 Prozent der Deutschen haben hier eingekauft, die Tüten mit dem blauen Logo sind in jeder Innenstadt zu sehen. Über die beiden Gründer und Firmenchefs weiß man trotzdem so gut wie nichts. Über Jahrzehnte führten diverse Listen die Brüder Karl und Theo Albrecht als die reichsten Deutschen, doch das ist so ziemlich alles, was man von ihnen weiß. Eine Presseabteilung gibt es bei Aldi nicht. Ämter, Bürgermeister und Anwohner ihres Firmensitzes in Essen schweigen. Sogar die Bilder der Brüder sind Jahrzehnte alt.
Als Theo Albrecht 2010 im Alter von 88 Jahren stirbt, erfahren es die Medien erst unmittelbar vor der Beisetzung. Die beiden Brüder sind Phantome. Und natürlich genau aus diesem Grund so etwas wie der Heilige Gral eines jeden Journalisten. Ein Jahr lang haben die Autoren Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg im Umfeld der Albrecht-Brüder recherchiert, mit ehemaligen Vertrauten und Angestellten gesprochen, durften privates Filmmaterial sichten. Und doch fällt vor allem eines auf: Im Beitrag für die Dokumentationsreihe "ZDFzeit" heißt es meist: "soll". Denn wirklich harte Fakten, auf die sind wohl auch die beiden Filmemacher nicht gestoßen.
"Ich wollte gar nicht, dass ihr kommt"
In ihrer "Aldi-Story" sitzen zumeist Journalisten vor der Kamera: Spiegel, Stern, FAZ, also die erste Garde der Zunft. Getroffen haben diese bis auf eine Ausnahme aber auch keinen der Albrecht-Brüder. Weniger interessant macht es das nicht.
Denn wie es so ist mit dem Myteriösen: Es regt die Fantasie um so mehr an. Und gibt Raum für Legenden und Spekulation. Wie etwa, dass Karl Albrecht auf seinem 90. Geburtstag nur drei Sätze sagte: "Ich wollte gar nicht, dass ihr kommt. Ich habe Hunger. Ich gehe bald nach Hause." Oder der ehemalige Vertraute von Theo Albrecht, Eberhard Fedtke, der berichtet, er habe seinen Chef nie lachen hören. Und gleich hinterher schiebt, dass der sich einmal auf der Herrentoilette darüber beschwert habe, dass der Handtrockner noch einige Sekunden nach der Benutzung weiter laufe. Theo Albrecht zückte den Taschenrechner und trug ihm vor, was man alles an Strom sparen könne, wenn das Gerät sofort stoppt.
Weniger Waren, dafür billiger
Dieser legendäre Sparzwang machte die Albrecht-Brüder so erfolgreich. Als gesichert gilt, dass ihre Eltern in den 20er-Jahren einen Tante Emma Laden in Essen betreiben. Die beiden Söhne arbeiten mit und lernen das Geschäft von grundauf. Nach ihrer Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg übernehmen sie den Laden und entwickeln ihre radikale Idee: Nicht auf die Größe des Sortiments kommt es an, sondern auf den Preis. Sie konzentrieren sich auf Grundnahrungsmittel und kaufen dafür große Mengen, um so den Preis zu drücken. Bereits Mitte der 50er Jahre besitzen sie 100 Filialen. Als in den USA das Discounter- und Selbstbedienungsprinzip auftaucht, übernehmen es die Brüder. In ihren Läden gibt es ab da nur noch das Nötigste: kaltes Neonlicht und die Ware auf Paletten. Die Verkäuferinnen verschwinden und werden durch zwei Kassen ersetzt. Aldi, wie wir es heute kennen, ist geboren.
Innerhalb weniger Jahre steigt das Unternehmen zum Milliardenkonzern auf. Wie weit das unsere Gesellschaft beeinflusst hat, macht "Die Aldi-Story" einprägsam deutlich: Den Preisverfall von Grundnahrungsmitteln haben wir in Teilen ebenso den Brüdern zu verdanken, wie Massentierhaltung und Billigproduktionen in Asien.
Denn die beiden Aldi-Chefs bleiben Zeit ihres Lebens knallharte Kalkulierer: Für sie zählt nur der Preis - um jeden Preis. Alles ist eine zu optimierende Zahl: Produkte, Arbeitsbedingungen, Gehälter, das Leben von Tieren. Unschuldig daran sind die Konsumenten in ihrer Gier nach günstigen Preisen natürlich nicht. Eine Journalistin vom Spiegel bringt es in der Doku auf den Punkt: "Wir sind alle Aldi".
Die Familie meldet sich nicht zu Wort
Wie die Brüder Albrecht über diesen Zwiespalt aus Preiskampf und Nachhaltigkeit dachten – man erfährt es nicht. 2014 verstarb auch Karl. Eines der sechs Kinder des Aldi-Clans vor die Kamera zu bekommen, das gelingt auch Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg nicht. So ist das einzige Ton-und Bilddokument, dass von den beiden Brüdern bleibt, die Deutschland veränderten, das kurze Interview von Theo Albrecht 1971, 17 Tagen nachdem er aus den Händen seiner Entführer befreit wurde. "Ich habe jetzt das Bedürfnis nach sehr viel Ruhe", sagt er. Seiner Familie geht es offenbar ähnlich. Auch sie sind bis heute Unbekannte geblieben.
Kurz nach seiner Befreiung soll Albrecht übrigens, ganz der Sparfuchs, versucht haben, das Lösegeld von sieben Millionen D-Mark als Betriebsausgaben von der Steuer abzusetzen. Es wurde abgelehnt, so heißt es. Aber vielleicht ist das auch nur wieder eine dieser Geschichten, die die Brüder zur Legende machten.
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