• UNICEF warnt vor den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Psyche ukrainischer Kinder.
  • Durch Dauerstress können Kinder langfristig seelische Probleme entwickeln.
  • Kinder und Jugendliche in umkämpften Gebieten leiden besonders unter der permanenten Unsicherheit.

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Wenn Gleb nicht schläft, kümmert er sich um die älteren Leute im Keller oder um eine kleine schwarze Katze. Manchmal liest er Bücher, die eigentlich für Erwachsene bestimmt sind, oder zeichnet. Wenn es Strom gibt, spielt er auf seinem Handy. Gleb Petrow ist 14 Jahre alt und lebt in der umkämpften Stadt Bachmut, im Osten des ukrainischen Donez-Beckens. Hier hat er mit 19 anderen Bewohnern seit acht Monaten Unterschlupf in einem Keller gefunden.

"Ich denke nicht über die Zukunft nach", sagt Gleb. "Ich weiß ja noch nicht mal, was in einem Tag oder in einer Stunde passieren wird." Von draußen hört man Explosionen und Gleb sagt, dass er gelernt habe zu unterscheiden, in welche Richtung gefeuert wird. Sein größter Traum sei es, "mit einem Freund mal spazieren zu gehen".

Dauerstress wirkt sich auf die Psyche aus

Bachmut wird seit Monaten von russischen Truppen bombardiert - kein Ende in Sicht. Hier leben noch Dutzende, möglicherweise Hunderte Kinder, deren Eltern nicht bereit sind zu fliehen. Die an der Front lebenden Kinder müssen lernen, mit dem Dauerstress umzugehen; Psychologen warnen davor, dass sie langfristig seelische Probleme entwickeln könnten.

Auch UNICEF ist besorgt. Das UN-Kinderhilfswerk schätzt, "dass etwa 1,5 Millionen Kinder in der Ukraine ein sehr hohes Risiko haben, an Depressionen, an Angstzuständen und an posttraumatischen Belastungsstörungen zu erkranken", sagt der Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, Christian Schneider.

Kinder in umkämpften Gebieten leben mit ständiger Angst

Die Stadt Lyman in der Donezk-Region war vier Monate lang von russischen Truppen besetzt, seither sind die meisten Gebäude zerstört, die umgebenden Wälder vermint. Die ukrainische Armee hat die Stadt im Oktober zwar zurückerobert, aber in der Umgebung wird weiter gekämpft.

Eines der wenigen Kinder dort ist die achtjährige Lisa Schtanko. Lisa steht am Straßenrand und sieht den ukrainischen Soldaten zu, die vorbeiziehen. Die meisten ihrer Freunde sind schon weg. Strom gibt es kaum noch. Und am Morgen ist eine Granate in der Nähe ihres Hauses eingeschlagen.

"Wegen der Bombardierung geht's mir heute nicht so gut", sagt sie. "Natürlich hat sie Angst", sagt ihr Vater Viktor Schtanko, ein 42-jähriger Elektriker. "Es gibt nichts Beängstigenderes, als wenn der Tod um dich herum lauert. Aber wenigstens hat sie mich." Neujahr und das russisch-orthodoxe Weihnachtsfest am 7. Januar könnten eine Ablenkung vom Kriegsalltag bedeuten, aber Viktor hat für Lisa nur ein Spielzeug von einer Wohltätigkeitsorganisation ergattert.

Das Leben in Lyman ist so hart geworden, dass die meisten Familien mit Kindern geflüchtet sind, und viele haben "keinen Grund, zurückzukommen", berichtet Kostja Korowkin, der Vater der sechsjährigen Nastja. Kostja sagt, er könne nirgendwo hingehen, so dass Nastja gezwungen sei, die Tage im Keller zu verbringen. Sie könne höchstens einmal kurz auf die Straße, wo sich sonst nur Straßenhunde herumtreiben.

Psychologische Betreuung und Schutzräume für Kinder sind essenziell

In Bachmut ist Katherine Soldatowa Mitglied einer Bürgerinitiative, die im Keller einer Schule einen Schutzraum eingerichtet hat. In dem beheizten Raum gibt es einen Weihnachtsbaum und einen Fernseher, "damit sich die Kinder wenigstens ein bisschen sicher fühlen", sagt sie und fügt hinzu: "Diese Kinder sind schon erwachsen geworden."

Für Kinder wie den zwölfjährigen Wolodymyr ist Soldatowas Keller eine Oase in einer Kriegswüste geworden. Er sagt, er verlasse den Ort eigentlich nur, um zu Hause etwas zu essen.

Die Psychologin Aljona Lukjantschuk erklärt, dass die Kinder von Bachmut in einem Zustand permanenter Unsicherheit leben. Da die Eltern "darauf fixiert sind zu überleben", müssten die Kinder lernen, mit dem Dauerstress umzugehen, der ihre Konzentration und Denkfähigkeit beeinträchtigt.

Lukjantschuk versucht dennoch, "ein wenig optimistisch" zu bleiben, und weigert sich zu akzeptieren, dass diese Kinder eine verlorene Generation sein könnten. "Es gibt zwar keinen wirklich sicheren Ort mehr in der Ukraine, aber nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Kinder lebt an der Front", sagt sie. "Wir müssen sie beobachten, aber ich bin sicher, dass viele das seelisch überstehen werden." (yb/ju)  © AFP

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