Wer seinem bellenden Freund tief in die Augen blickt, fühlt häufig eine starke Verbindung zu dem Tier. Eine neue Studie aus China hat dieses Phänomen untersucht und festgestellt, dass sich die Hirnaktivität von Hund und Mensch bei intensivem Blickkontakt angleicht.
"Ich könnte Dich fressen, so lieb hab ich Dich!" – jede Hundemama und jeder Hundepapa kennt dieses Gefühl der tiefen Hingabe zum wuffenden Familienmitglied. Jede Hundebesitzerin und jeder Hundebesitzer kennt auch das Gefühl der plötzlichen Verbundenheit zum fellnasigen Liebling beim intensiven Blick in seine Augen. Hinter diesem Phänomen verbirgt sich aber wesentlich mehr, wie Forscher der "Chinesischen Akademie der Wissenschaften" herausgefunden haben. Und das hat mit der Hirnaktivität von Hund und Mensch zu tun.
Aus der Forschung ist seit langem bekannt, dass Hunde Zeigegesten verstehen und damit menschliches Verhalten wie kein anderes Lebewesen interpretieren können. Die neue Studie, die in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Advanced Science" Anfang September 2024 veröffentlicht wurde, zeigt aber noch eine weitere, bemerkenswerte Fähigkeit der Fellschnuten. Der Hund kann seine Hirnaktivität mit der seines Menschen synchronisieren und so die Aufmerksamkeit und Emotionen von Frauchen oder Herrchen wahrnehmen.
So synchronisiert sich die Hirnaktivität von Hund und Mensch
Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass sich die Hirnaktivität von Menschen – insbesondere im Frontallappen – synchronisieren kann, wenn sie miteinander kommunizieren oder zusammenarbeiten. Diese Synchronisation deutet darauf hin, dass die Beteiligten einander Aufmerksamkeit schenken.
Das Team rund um Forschungsleiter Dr. Ren Wei vermutete daher, dass die "Interaktion zwischen Mensch und Hund eine ähnliche Synchronisation der Hirnaktivität hervorrufen könnte". Um diese These zu überprüfen, wurden zehn Labor-Beagles für fünf Tage mit ihnen zuvor unbekannten Menschen zum gegenseitigen Kennenlernen zusammengebracht.
Die Versuchspersonen sollten mit den Hunden nonverbal kommunizieren, beispielsweise durch Blickkontakt oder durch Streicheln. Währenddessen wurde die Hirnaktivität der menschlichen und tierischen Probanden mithilfe von Elektroden auf den Köpfen gemessen. Zum Vergleich gab es eine Kontrollgruppe, die sich zwar im gleichen Raum befand, in der Hund und Mensch aber nicht miteinander interagierten.
Ergebnisse der Studie sind eindeutig
Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig, berichtet der Dr. Ren Wei. Wörtlich erklärt der Biologe: "Wir haben beobachtet, dass die Synchronisation in den frontalen und parietalen Regionen beim gegenseitigen Betrachten deutlich zunimmt."
Durch frühere Studien ist es bereits seit Langem bekannt, dass beim Streicheln von oder beim Kuscheln mit Hunden die Aktivität im Frontallappen des menschlichen Gehirns deutlich gesteigert ist. Dieser Bereich ist beim Menschen nicht nur für die Motorik, sondern auch für "höhere kognitive Funktionen" wie Humor, Emotionen und Persönlichkeit entscheidend.
Beim Streicheln konnten anhand des Experiments jetzt auch bei Hunden "Synchronisationsmuster" nachgewiesen werden. Allerdings war bei den Fellnasen stärker die parietale Hirnregion beteiligt, bei den Menschen war die frontale Hirnregion aktiver. Der Parietallappen ist zuständig für die Wahrnehmung von Reizen und für die Entstehung von Aufmerksamkeit.
Im weiteren Verlauf der Studie nahm die Synchronisation der Gehirne innerhalb der Mensch-Hund-Paare weiter zu. Somit hat dieses Experiment den bisher unbewiesenen Nachweis darüber erbracht, dass beim Interagieren miteinander ähnliche Aktivitäten im Gehirn von Hunden auftreten wie auch bei Menschen. Das Forschungsteam zieht daraus den Rückschluss, dass diese gemeinsame Hirnaktivität die emotionale Bindung zwischen Hund und Mensch nochmals unterstreicht und auf eine wachsende Beziehung hindeutet.
Autismus erschwert es auch für Hunde, Bindungen aufzubauen
In diesem Zusammenhang testete das Forschungsteam auch noch eine andere Hypothese. Denn einige Wissenschaftler vermuten, dass "Defizite in der sozialen Kognition, wie sie bei Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) vorkommen, auf eine verminderte Synchronisation des Gehirns bei sozialen Interaktionen zurückzuführen sind."
Um das herauszufinden, wiederholten die Forscher ihre Experimente mit neun Hunden, die autismusähnliche Merkmale aufwiesen. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Synchronisation der Hirnaktivität zwischen Hund und Mensch war bei den Hunden mit autistischen Merkmalen deutlich geringer als bei den Hunden ohne diese Merkmale.
Versuchshunde bekamen LSD
Um die "soziale Kompetenz" zu verbessern, verabreichten die Forscher den Fellnasen eine Einzeldosis LSD. Dieses Psychedelikum hatte bereits in früheren Studien das Sozialverhalten von Mäusen mit autistischen Merkmalen deutlich verbessert. Und wirklich: Auch bei den Hunden führte die Behandlung mit LSD zu einer besseren Synchronisation der Hirnaktivität zwischen dem Hund und seiner menschlichen Bezugspersonen.
Die Autoren der Studie ziehen daraus zwei Schlüsse. Yong Zhang erklärt: "Zum einen könnte die gestörte Synchronisation als Biomarker (Anm. d. Red.: messbarer Parameter für biologische Prozesse mit entsprechender Aussagekraft) für Autismus dienen. Zum anderen könnte LSD oder seine Derivate möglicherweise die sozialen Symptome von Autismus lindern." Ein interessanter Gedanke. Wird doch die Anwendung von LSD schon seit vielen Jahren in der Humanmedizin erforscht, zum Beispiel gegen Depressionen und Angststörungen.
Doch ehe LSD auch bei unseren tierischen Mitbewohnern mit autistischen Merkmalen zum Einsatz kommen könnte, ist es noch ein langer Weg. Das wissen auch die Forscher. Denn sie betonen, dass noch weitere Studien notwendig sind, um die "neuronalen Mechanismen, die den sozialen Defiziten bei Autismus zugrunde liegen, besser zu verstehen — auch im Modell mit Hunden." © Deine Tierwelt
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