Vor fast zwei Jahren hatte die Stute unserer Autorin einen schweren Unfall – monatelang bangte sie um das Leben ihres Ponys Viona. Seitdem hat sich Vio nicht nur körperlich verändert – auch ihre Psyche hat einen großen Schaden davon getragen. Hier berichtet unsere Autorin von dem Einfluss von Trauma auf Charakter und Wesen ihres Pferdes.

Mehr zum Thema Haustiere

Ich sitze gerade in einem Liegestuhl auf der Wiese im Stall und beobachte mein Pony beim Grasen. Sie muss nichts tun, außer in vollkommener Ruhe zu grasen und das schöne Wetter zu genießen. Heute ist im Berliner Umland der erste richtig schöne und warme Tag mit 18 Grad Celsius. Niemals habe ich erwartet, dass es mich so glücklich machen könnte, Viona beim "Nichtstun" zuzusehen. Denn ganze neun Monate lang wusste ich nicht einmal, ob sie weiterleben würde. Diese lange Zeit der Ungewissheit hat meine Sicht auf alles neu ausgerichtet.

Der Zustand von Vionas Psyche – vor dem Unfall

Jedes Pferd hat einen individuellen Charakter, der teilweise durch die Abstammung, die Rasse, die Prägung und die Erfahrungen im Pferdeleben beeinflusst wird.

Viona kam als zweieinhalbjährige Stute zu mir, direkt von der Züchterin. Dort stand sie mit einigen kleineren Ponys zusammen, bei denen sie meiner Ansicht nach das Sagen hatte. Das war ihre erste Prägung. Sie musste sich von niemandem etwas sagen lassen und konnte tun und lassen, was sie wollte. Ich denke, das hat ihre Psyche sehr beeinflusst. Und genau so benahm sie sich dann auch bei uns.

Ein Rehaaufenthalt kann bei Verletzungen helfen
Ein Rehaaufenthalt kann bei Verletzungen helfen © Foto: pexels.com/Helena Lopes (Symbolfoto)

Narrenfreiheit

Sie war unglaublich selbstsicher, unerschrocken und die Rangordnung hat sie nicht interessiert. Zudem verkörperte Vio Frechheit, Dreistigkeit und Aufmüpfigkeit. Wenn ihr langweilig war, stieg sie die anderen Pferde an, stänkerte und wich nicht einmal an der Heuraufe vor der Leitstute zurück. Doch mit der Zeit übernahmen die anderen Stuten die Erziehung und Vio entwickelte sich zu einem wertvollen Mitglied der Herde. Dennoch blieb sie immer die freche, kleine, dreiste Maus!

Der Unfall – und die Folgen für Vionas Psyche

Doch dann hat Vionas Weideunfall alles für uns verändert. Er beeinflusste das Wesen meines Ponys, und auch an mir ging das Ganze nicht spurlos vorbei. Wir mussten uns danach noch einmal neu kennenlernen.

Tatsächlich ist jedem, dem ich von dem Unfall und den damit einhergehenden Strapazen erzähle, sofort klar, dass es gar nicht anders möglich wäre, nach etwa einem Jahr Klinik, Boxenruhe, Isolation und Reha. Doch mein Kopf und mein Unterbewusstsein waren die gesamte Zeit darauf konzentriert, im Hier und Jetzt zu kämpfen, um sie bestmöglich zu unterstützen. Am allermeisten betete ich für ihr Überleben. So hatte ich keine Minute Zeit, über die Zukunft und die mentalen Folgen für uns beide nachzudenken.

Nach dem Unfall hat Viona Angst vor Pferden

Es waren zweifellos unglaubliche Strapazen für Viona, gepaart mit sehr starken Schmerzen und sie musste viel Kraft aufbringen. Mir war klar, dass es für sie schwer sein würde. Doch das volle Ausmaß ihrer psychischen Belastung und die damit einhergehende Veränderung zeigten sich erst, als wir sie nach knapp einem Jahr wieder mit zwei anderen Stuten zusammenstellten.

Der Wechsel zur kleinen Herde fördert die Genesung
Der Wechsel zur kleinen Herde fördert die Genesung © Foto: pexels.com/Helena Lopes (Symbolfoto)

Meine freche Maus, die sich von niemandem etwas sagen ließ, war nun erfüllt von Angst. Das lag nicht an den anderen Stuten, denn diese waren neugierig und interessiert. Sie kamen mit gespitzten Ohren auf Viona zu, doch sie drehte panisch ab und ging sofort weg. Die Interaktion mit den anderen Stuten reduzierte sich auf ein Minimum, und ich merkte genau, dass sie Panik hatte, wenn die anderen ihr zu nahe kamen. Sie war schreckhafter, schnell angespannt und konnte kaum abschalten, weil sie immer im Blick hatte, ob sie im Weg war oder ob jemand der anderen beiden auf sie zukam.

Viona verhielt sich unscheinbar, ruhig, stand oft allein und abseits, was mir das Herz brach. Denn ich wollte sie nicht weiter isolieren; sie sollte zurück in eine Herde, wenn auch in eine ganz kleine. Ich wünschte ihr von Herzen wieder ein Stück Normalität.

Intuitive Entscheidungen

Doch in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich intuitiv die richtigen Entscheidungen in den vergangenen Monaten für sie getroffen hatte. Immer und immer wieder haben wir den Aufenthalt in der Reha verlängert, auch wenn sie keine Fortschritte machte, um sicherzustellen, dass wir alles getan haben, was in unserer Macht steht, damit sie weiterleben kann. Als dann nach und nach eine kleine Verbesserung zu sehen war, blieben wir dran und verlängerten um weitere Monate. Sie wurde stabiler, und als wir sie nach sieben Monaten Reha nach Hause holten, befand sie sich körperlich in einem sehr guten Zustand, war lahmfrei und schmerzfrei, womit wirklich niemand gerechnet hatte.

In der neuen Herde wird das Pferd selbstsicherer
In der neuen Herde wird das Pferd selbstsicherer © Foto: pexels.com/Helena Lopes (Symbolfoto)

Der Stallwechsel und der damit einhergehende Herdenwechsel zu einer kleinen Herde, bestehend aus zwei anderen Stuten auf einem privaten Hof, war im Rückblick der beste Schritt für ihre emotionale und psychische Genesung. Ich habe bewusst den Stall gewechselt, da sie am alten Stall mit zwölf weiteren Stuten auf dem Paddock gewesen wäre und ich wusste, dass sie dafür körperlich nicht in der Verfassung gewesen wäre. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn sie sich in dieser psychischen Verfassung in eine Herde mit zwölf anderen Stuten hätte einfinden müssen. Mal davon abgesehen, hätte ich keine Nacht mehr ruhig geschlafen.

Sie gibt einfach nie auf

Nun ist sie seit knapp neun Monaten endgültig zu Hause und in ihrer neuen Herde und ich kann sagen, dass sie langsam immer selbstsicherer wird. Es tut gut zu sehen, dass sie sich zu den anderen gesellt, nicht mehr so isoliert steht und immer mehr soziale Interaktion zulässt. Mittlerweile haben sich die drei Stuten gut aufeinander eingestellt und Vio hat einen Weg gefunden, auf sich aufzupassen, ohne Panik. Ich habe das Gefühl, dass sie sich immer mehr bewusst wird, dass die anderen beiden ihr nichts Böses wollen. Mittlerweile liegt sie auch oft – und da sie bei dem Weideunfall vermutlich überrannt wurde, ist das für mich ein besonders gutes Zeichen.

Vor etwa zwei Wochen, als sie zum allerersten Mal wieder die Ohren anlegte und zaghaft versuchte, die andere Stute wegzuschicken, während wir gerade gekuschelt haben, musste ich weinen. Ihr Selbstbewusstsein wächst, und ich versuche, sie mit allem, was ich habe, dabei zu unterstützen, sich in ihrem neuen Ich einzufinden.

Du liebst Pferde genauso sehr wie wir?
Dann bist Du bei Pferde.de genau richtig. Denn hier erhältst Du exklusive Storys aus dem Reitstall und spannende Ratgeber rund um die Welt der Pferde.

Mir ist bewusst, dass sie wohl nie wieder sein wird wie vor dem Unfall, doch das bin ich auch nicht – und zusammen werden wir das schaffen.

Wenn Du uns auf unserer Reise folgen willst, freue ich mich, wenn Du auf meinem Instagram-Profil vorbeischaust.  © Pferde.de

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.