Düsseldorf/Berlin - "Gestiegene Beschaffungskosten" lautete über ein Jahr lang das Hauptargument von Gasversorgern bei Preiserhöhungen.
Der Grund: Infolge der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine waren viele Unternehmen gezwungen, ihr Erdgas im Großhandel zu deutlich gestiegenen Preisen einzukaufen, um es dann an Haushalte und Firmen weiterverkaufen zu können. Seit Mitte Dezember sind diese Preise jedoch stark gefallen. Werden die "gesunkenen Beschaffungskosten" ebenfalls weitergegeben? Wenn ja, wann? Ein Überblick.
Wie kommen die Versorger eigentlich auf ihre Endkundenpreise?
Der Gaspreis hat drei Bestandteile: Steuern und Abgaben, Netzentgelte sowie Beschaffung und Vertrieb. Stadtwerke und andere Versorger kaufen das Gas etwa bei großen Importeuren wie Uniper oder an speziellen Börsen. Dort wird am sogenannten Spotmarkt Gas gehandelt, das in ein bis zwei Tagen geliefert werden kann. "Auf dem Terminmarkt hingegen werden Lieferverträge mit einer Laufzeit von bis zu sechs Jahren geschlossen", heißt es beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Für die Stadtwerke spielen die Kurzfristmärkte bei der Beschaffung nur eine untergeordnete Rolle, wie der Branchenverband VKU erklärt. Die Unternehmen kauften Energie stetig auf Termin für die Zukunft ein, erklärt ein Sprecher. Der künftig erwartete Energiebedarf werde dabei in vielen kleinen Teilmengen zu verschiedenen Zeitpunkten eingekauft, in der Regel bis zu drei Jahre im Voraus.
Wie haben sich die Großhandelspreise zuletzt entwickelt?
Deutlich nach unten. Laut BDEW betrugen die Großhandelspreise 2022 am Terminmarkt im Schnitt 117 Euro je Megawattstunde. Seit einigen Wochen seien sie auf rund 70 Euro gefallen. "Allerdings sind die Großhandelspreise damit immer noch fast viermal so hoch wie vor den Krisenjahren", betont der Branchenverband. "Im Mittel der Jahre 2015 bis 2019 lag der durchschnittliche Gaspreis im Großhandel bei rund 18,50 Euro je Megawattstunde."
Warum sind die Preise gesunken?
Der Gasmarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool sieht die Gründe für die gesunkenen Preise in einer Kombination aus mildem Winter und höheren Gaseinsparungen als erwartet. Dies habe gezeigt: "Es geht auch ohne russisches Gas". In der Folge seien die europäischen Gasspeicher voller als sonst zu dieser Zeit. "Das Schreckensgespenst der Gasmangellage hat seinen Schrecken verloren."
Wie haben sich die Verbraucherpreise entwickelt?
Laut BDEW lag der durchschnittliche Erdgaspreis für Haushalte in Mehrfamilienhäusern im vierten Quartal 2022 bei 19,8 Cent je Kilowattstunde, für Einfamilienhäuser bei 20,0 Cent. Laut dem Vergleichsportal Verivox kostet eine Kilowattstunde Gas für Neukunden aktuell im Schnitt 11,8 Cent.
Was sagen die Versorger?
Die Energiewirtschaft betont, dass sich die Großhandelspreise wegen der langfristigen Beschaffungsstrategien nicht unmittelbar auf die Endkundenpreise auswirken. "Die Kunden haben vergangenes Jahr von dieser langfristigen Beschaffung profitiert", sagt die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae. Die Strategie der Versorger glätte die Entwicklungen an den Energiebörsen und schütze die Kunden vor starken Preissprüngen. "Dies bedeutet aber auch, dass sich nun der temporär gesunkene Einkaufspreis erst später auf die Endkundenpreise auswirkt."
Was raten Verbraucherschützer?
Haushaltskunden, denen in diesen Wochen noch Erhöhungen angekündigt werden, können laut dem Energieexperten der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Udo Sieverding, einen Tarif- oder Anbieterwechsel in Erwägung ziehen. Er verweist auf die Vergleichsportale, in denen jetzt auch wieder Preise zu finden seien, die unterhalb der zeitweise günstigeren Grundversorgungstarife lägen. "Der Blick in die Portale kann sich lohnen", sagt er.
Allerdings sei zu beobachten, dass viele Kunden nach plötzlichen Kündigungen durch Energie-Discounter zunächst bei ihren Stadtwerken oder anderen Grundversorgern bleiben wollten, die sie damals aufgenommen hätten. Sieverding nennt dies "sehr nachvollziehbar": Im Wissen um die Gaspreisbremse, die 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs auf 12 Cent deckele, würden diese Kunden oft bei ihren bisherigen Anbietern bleiben.
Wie werden sich die Großhandelspreise in Zukunft entwickeln?
"Wie es dieses Jahr weitergeht, hängt in erster Linie vom Wetter im Rest der Heizsaison ab", sagt Gasmarktexperte Huneke. "Wenn der Rest des Winters es zulässt, dass wir das gerade gespeicherte Gas nicht doch noch zum großen Teil brauchen, könnte es ein Sommerloch bei den Preisen geben." Für den nächsten Winter müsse man aber wieder gewappnet sein: Einen Gasverbrauch wie in einem sehr kalten Winter könne man sich in Europa auch im nächsten Winter noch nicht leisten. Das Risiko einer teuren Gasmangellage im nächsten Winter sei noch da, aber gewaltig gesunken. Einen eindeutig fallenden Preistrend sieht Huneke erst ab 2025. © dpa
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