Die Notenbankpolitik der Europäischen Zentralbank hat längst auf Sparer übergegriffen. Immer mehr Banken reichen den Strafzins von minus 0,40 Prozent, den sie selbst auf ihre eingelagerten Reserven zahlen müssen, direkt an die Kunden weiter. Wir erklären die Hintergründe, wie Sie sich wehren können und wohin die Zinspolitik in Europa steuert.
Wer Schülern heute beim Mathe lernen über die Schulter schaut, der dürfte bei manchen Aufgaben ins Schmunzeln geraten. Denn Szenarien wie "Herr Müller legt 150.000 Euro zu einem jährlichen Zinssatz von 7,5 Prozent an. Wie viel hat er nach drei Jahren?" existieren nur noch in der Welt der Schulbücher.
Mit der Realität haben sie nicht mehr viel zu tun. Dort geht ein ganz anderes Schreckgespenst um. Es trägt den Namen "Strafzins." Zu Drucklegung vieler Mathebücher wird es den Begriff nicht einmal gegeben haben.
Einlagezins auf historischem Tiefstand
Negativ- beziehungsweise Strafzinsen bringen durcheinander, was bisher allgemein für Zinsen galt: Sie waren einst der Lohn für jene, die Geld bereitstellen und Kosten für die, die sich Geld leihen. Spätestens seit Juni 2014 gilt das nicht mehr uneingeschränkt.
Damals fiel der Einlagezins für Banken auf Minus 0,10 Prozent - erstmals in den negativen Bereich. Banken mussten fortan Zinsen auf das bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hinterlegtes Geld zahlen. Im März 2016 senkte EZB-Chef Mario Draghi den Einlagezins ein weiteres Mal, seitdem liegt er bei Minus 0,40 Prozent.
Zwei Formen von Negativzinsen
Dass bei Negativzinsen zwei Formen - negative Realzinsen und negative Nominalzinsen - unterschieden werden, macht das Ganze nicht weniger kompliziert.
Bei Realzinsen sind Effekte wie die Inflation mit einberechnet. Von einem negativen Realzins spricht man, wenn die Inflationsrate höher als der Marktzins für Sparguthaben ist.
Beispielsweise sind die Zinsen bei Sparbüchern sehr gering, oftmals liegen sie bei unter 0,1 Prozent. Die deutlich höhere Inflationsrate führt dazu, dass das Geld an Kaufkraft verliert – man macht mit dem Sparen über das Sparbuch somit Verluste. Beim negativen Nominalzins geht es hingegen um Zinssätze im Bereich unter null Prozent – so wie es nun bei den Einlagezinsen der EZB der Fall ist.
Ursprüngliches Ziel: Wirtschaft ankurbeln
Die Maßnahme der EZB war denkbar einfach, aber ebenso kurzfristig gedacht: Banken sollten dazu gebracht werden, das Geld lieber in Form von Krediten in den Markt zu pumpen, ihre Kunden sollten es also ausgeben, um damit die Wirtschaft anzukurbeln.
Auch wenn für Einige die EZB mit Sitz in Frankfurt am Main weit weg erscheinen mag, die Auswirkungen auf die Sparer sind längst spürbar. Denn das Ergebnis der europäischen Geldpolitik ist absurd: Wer spart, wird bestraft.
Banken geben Strafzins an Kunden weiter
Zwar übernehmen die Banken und Sparkassen aktuell Großteils die Kosten für ihre Kunden, die ihnen durch den Einlagenzins bei der EZB entstehen, aber auch für die Banken wird es zunehmend schwierig, nachhaltig und profitabel zu wirtschaften. Besonders kleinere Banken und Genossenschaftsbanken sind bedroht.
Bereits jetzt sehen sich daher viele Geldhäuser gezwungen, die Negativzinsen an ihre Kunden weiterzugeben. Auch die Banken haben dafür ein neues Wort gefunden: "Verwahrentgelt".
"Verwahrentgelt" auch für private Kunden
Nicht nur erheben mehr und mehr Geldhäuser ein solches "Verwahrentgelt", immer mehr Banken weiten die Negativzinsen von Geschäfts- auf Privatkunden aus und senken kontinuierlich den Schwellenwert, ab dem der negative Zins zum Tragen kommt.
Der Wirtschaftswissenschaftler Horst Biallo, ehemals Wirtschaftsjournalist bei der "Welt" hat recherchiert, dass unter gut 170 Banken und Sparkassen (angefragt waren 1.200) bereits 115 Geldhäuser Negativzinsen von einem Teil ihrer Privat- oder Geschäftskunden erheben.
Dabei geben die meisten Geldhäuser den negativen Einlagenzins der EZB in Höhe von minus 0,40 Prozent jährlich eins zu eins an ihre Kunden weiter.
Große Unterschiede bei Schwellenwerten
Ab welcher Höhe die Negativzinsen erhoben werden, schwankt von Bank zu Bank erheblich. Einige haben feste Grenzen, andere Geldhäuser treffen individuelle Vereinbarungen mit vermögenden Kunden.
Während bei der Sparkasse Bamberg erst ab 2 Millionen Euro auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto Strafzinsen fällig werden und bei der Berliner Sparkasse ab 1 Million Euro, müssen bei der Volksbank Eisenberg und bei der Raiffeisenbank Gmund Privatkunden bereits ab 100.000 Euro auf Giro- und Tagesgeldkonten Strafzinsen zahlen.
Negativzinsen schon ab 100.000 Euro
Für institutionelle und Geschäftskunden verhängen deutlich mehr Banken Negativzinsen.
Die Kreissparkasse Köln bittet geschäftliche Kunden mit einem Anlagebetrag ab 500.000 Euro zur Kasse, die Sparkasse Vogtland in Sachsen will am Jahresende 0,40 Prozent schon bei Geschäftskunden mit einem Betrag von 100.000 Euro auf dem Konto sehen.
Kann man sich wehren?
Aufsichtsrechtlich müssen Banken eine Mindestreserve bei der EZB unterhalten – können den Negativzinsen also selbst nicht entgehen. Was aber bleibt Kunden übrig, wenn die Bank plötzlich Strafzinsen – zulässig übrigens nur bei Neuverträgen – verhängt?
Anlageberater empfehlen Kunden, sich Vergleichsangebote einzuholen und günstigere Alternativen zu suchen. Im Netz findet sich dafür eine Vielzahl an Vergleichsportalen. Sinnvoll kann es ebenfalls sein, sein Kapital auf mehrere Tagesgeldkonten verschiedener Anbieter zu verteilen, um somit das Überschreiten von Schwellenwerten zu vermeiden.
Alternative Anlageformen wählen
Auch eine Anlage in Form von Wertpapieren kann für Kunden sinnvoller sein. Während Kontoeinlagen laut Gesetz nur bis zu einer Summe von 100.000 Euro je Anleger und Institut gesichert sind, sind Wertpapiere als Sondervermögen von einer möglichen Insolvenzmasse ausgenommen.
Wer bereit ist, erhöhte Risiken einzugehen, kann auch über Anlageformen wie Aktien oder Fremdwährungskonten nachdenken.
Zinswende nicht in Sicht
Was Sparer auf jeden Fall benötigen ist Geduld, denn eine Zinswende ist nicht in Sicht. Wie auch das "Handelsblatt" berichtet, werden die Leitzinsen wohl bis mindestens Mitte 2020 auf aktuellem Niveau bleiben, in einem Statement wählte die EZB jüngst sogar den Zusatz "oder darunter".
Erwartet wird auch, dass der Einlagezins auf der nächsten Ratssitzung am 12. September weiter abgesenkt wird. Experten rechnen mit einer Absenkung auf -0,50 Prozent. Folglich dürften sich künftig weitere Banken gezwungen sehen, den Strafzins an ihre Kunden weiterzureichen.
Kleinsparer in Gefahr
Kleinsparer sind bisher nicht im Fokus für Strafzinsen und können sich in Sachen Strafzins wohl vorerst auf der sicheren Seite wähnen.
In einer Umfrage der "Bild"-Zeitung wollte jedoch keine Bank Strafzinsen für Kleinsparer mit Garantie ausschließen. Kleinsparer sehen sich zudem bereits jetzt mit steigenden Kontoführungsgebühren konfrontiert.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) will indes prüfen, ob Negativzinsen für Kleinsparer rechtlich verboten werden können. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte den Vorschlag ins Gespräch gebracht.
Altersarmut programmiert
Bereits jetzt fürchten viele, dass irgendwann auch sie von Negativzinsen betroffen sein könnten. Unter den Auswüchsen der expansiven Geldpolitik - die EZB druckte zwischenzeitlich monatlich ein Geldvolumen von 80 Milliarden Euro - leiden sie derweil schon heute.
Mit der derzeitigen Politik der EZB ist die Altersarmut für Viele bereits programmiert. Denn: Für Normalverdiener wird es immer schwieriger, für die Rente vorzusorgen. Aktuell ist das fast nur mit spekulativen Anlagen möglich. Weitergedacht dürfte in Zukunft das Sozialsystem durch Aufstockung zunehmend belastet werden, was zu Leistungskürzen führen könnte.
Verwendete Quellen:
- Umfrage von Biallo in Auftrag der Süddeutschen Zeitung
- Haufe: Hintergrund-Infos Negativzinsen
- Handelsblatt: EZB-Ratsmitglied will die Wirtschaft ankurbeln
- Bild: Keine Bank will Garantie für Kleinsparer geben
- Süddeutsche: EZB beendet Anleihenkäufe zum Jahresende
- Pressemitteilung der EZB
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