Nach der Geburt eines Babys ist die Freude groß, Zeit und Kraft sind aber meist Mangelware. Wie es frischgebackene Eltern schaffen, sich als Paar in dieser Zeit nicht zu verlieren, verrät Paartherapeutin Nina Grimm im Interview.
Wenn aus einer Paarbeziehung eine Familie wird, geht für viele ein Traum in Erfüllung. Ein Baby im Haus bedeutet aber auch, dass Zeit und Kraft Mangelware sind. Wie es frischgebackene Eltern schaffen, sich als Paar in dieser Zeit nicht zu verlieren, erklärt Familienpsychologin und Paartherapeutin Nina Grimm, die nun ihr Buch "Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid"(GU) veröffentlicht hat, im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Was ist das Wichtigste in Ihrem Buch, was Sie selbst gerne gewusst hätten, bevor Sie und Ihr Mann Eltern wurden?
Nina Grimm: ... dass uns eine wirklich stressige Zeit bevorsteht und dass die Tatsache, dass wir uns wegen der vergessenen Milch in die Haare kriegen nicht bedeutet, dass unsere Beziehung schlecht ist. Sondern, dass niemand von uns gelernt hat, wie langfristig glücklich eigentlich funktioniert. Wir es aber durchaus miteinander lernen können - wenn wir das wollen.
Vor der Geburt denken vermutlich die wenigsten Paare darüber nach, dass die Paarbeziehung durch das Elternsein leiden könnte. Was kann hier in der Vorbereitung helfen?
Grimm: Sich dem einzig Absehbarem zu stellen: Durch Kinder werden wir an unsere Grenzen kommen. Wir werden Stress haben. Das sind neue Extremsituationen. Und in Extremsituationen verhalten sich Menschen anders. Deswegen ist es wichtig, dass sich Eltern in spe darüber austauschen, wie sie mit Stress umgehen, und wie sie sich jeweils co-regulieren können - statt uns gegenseitig auch noch in die Magengrube zu treten, wenn wir eh schon am Boden liegen.
Gerade in den ersten Monaten nach der Geburt steht das Baby im Vordergrund. Zeit und Kraft sind Mangelware. Wie schafft man es, dass man sich als Paar in dieser Zeit nicht verliert und es nicht zur Krise kommt?
Grimm: In dem wir das Wunder der kleinen Dinge (wieder)entdecken und bewusst leben. Gerade in der Babyzeit ist der liebevolle, wertschätzende Umgang im Alltag das Entscheidende: das ungefragte Reichen der Feuchttücher beim Wickeln, die selbstgepflückte Wiesenblume zur Begrüßung, das Lächeln beim ersten Blickkontakt am Morgen.
In Ihrem Buch heißt es, eine langfristig glückliche Beziehung sei "kein gottgegebenes Zufallsprodukt, das durch Luft und Liebe entsteht. Eine gute Beziehung bedeutet Arbeit". Gibt es allgemeine Tipps, wie eine gute Beziehungspflege aussehen kann? Wie viel Zeit sollten Paare mindestens investieren?
Grimm: Es geht gar nicht so sehr um Quantität, sondern viel mehr um Qualität. Die wohl wichtigsten Zutaten, damit auch kleine, alltägliche Begegnungen eine nährende Oase für die Paarbeziehung werden können, sind: Wertschätzung, aufrichtiges Interesse und Präsenz. Außerdem hilft es, wenn wir uns als Paar Routinen und Rituale schaffen - der Gute-Nacht-Kuss vor dem Einschlafen oder das gemeinsame "Tatort" schauen mit Schokoladeneis.
Unter Zeit- und Energiemangel, die das Elterndasein mit sich bringt, verändert sich meist auch das Sexleben. Wie erhält man körperliche Nähe und Zärtlichkeit als Paar?
Grimm: In dem man dem Ganzen den Leistungsdruck entzieht und den Fokus wieder auf die Begegnung setzt: Häufig ist ihre erste innere Reaktion auf seine Annäherung ein "oh neee...!" - denn sie ist im Kopf schon bei ihren unrasierten Beinen und der Tatsache, dass sie so gar keine Lust auf Hand- und Blowjob hat. Dabei verpasst sie aber, dass ihr sein Kuss auf den Nacken an sich vielleicht sogar noch gefällt. Und so geht eine potenzielle, schöne Begegnung flöten. Und genau die gilt es wieder mehr zu erleben.
Was sind erste Warnzeichen dafür, dass es in der Beziehung kriselt?
Grimm: Wenn wir keine positiven Begegnungen mehr im Alltag miteinander haben, sondern sich der Kontakt auf Organisatorisches beschränkt. Und/oder, wenn wir vermehrt das Negative an ihm/ ihr sehen und innerlich beginnen auf Distanz zu gehen.
Eine Beziehung ist nicht gefährdet, solange auf einen Konflikt fünf positive Erfahrungen folgen, heißt es. Wie wichtig ist, dass Paare ihr Beziehungskonto gut im Auge behalten? Wie können diese positiven Erfahrungen aussehen?
Grimm: Das ist tatsächlich ganz zentral. Ein Streit ist nicht schlimm. Solange er sich in fünf positive Beziehungserfahrungen einschmiegt. Wie die aussehen können, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Für den einen ist das vielleicht körperliche Zärtlichkeiten, für die andere eher Raum und Zeit für sich.
Sie führen zehn Fehler auf, die Eltern-Paare begehen. Welcher begegnet Ihnen in Ihrer beruflichen Praxis am häufigsten?
Grimm: Tatsächlich: alle! Aber wenn ich mich auf den zentralsten festlegen muss, sage ich: dass man denkt, der andere ist das Problem. Und der Anspruch erhoben wird, dass sich das Gegenüber einfach ändern müsste, damit eine gute Beziehung möglich wird. (hub/spot) © spot on news
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