Vor einem Jahr ließ Ex-Geheimdienstler Edward Snowden die Bombe platzen: Er veröffentlichte erste Geheimdokumente und zeigte der Welt, dass Millionen Menschen durch die NSA bespitzelt werden. Doch das Ausspionieren ist längst Alltagsrealität. Ein Tag als gläserner Mensch.

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Mit Programmen wie "Prism", "Dishfire", "Tempora", "Mystic" und "XKeyscore" sammeln Agenten sogenannte Metadaten. NSA-Spione haben so massenweise Textnachrichten abgegriffen. Einem Dokument aus dem Jahr 2011 zufolge täglich 200 Millionen SMS. Außerdem bekommen sie Zugriff auf Chats, Nachrichten, Fotos und Videos. Auch abonnierte RSS Feeds, Bookmarks, Kalender, Kontakt- und Loglisten bleiben nicht geheim. Telefon- und Handygespräche werden ebenso ausspioniert.

Datensammeln durch Tracking

Dass Millionen Menschen den datenhungrigen Geheimdiensten ins Netz gehen, ist hausgemacht: Wer im Internet surft, telefoniert und sein Smartphone benutzt, hinterlässt Spuren. Algorithmen durchforsten "Big Data" nach verborgenen Korrelationen. Neben dem bekannten Web-Tracking gibt es das Tracking bei Smartphones, Fernseher, Set-Top-Boxen oder Spielekonsolen. Und auch im öffentlichen Raum findet Spionage im großen Stil statt, etwa durch Kameras auf Bahnhöfen, öffentlichen Plätzen und in Einkaufszentren. Die dahinter versteckten Technologien können Gesichter identifizieren und Kfz-Kennzeichen erkennen.

Der gläserne Mensch nimmt Kontrollverlust seiner Daten hin

Vor allem aber durch das Smartphone ist die orwellsche Vision der totalen Überwachung bereits Realität. Denn im Gegensatz zum Web-Tracking ist die Kontrolle und Steuerung vom App-Tracking nicht möglich, hat das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie herausgefunden. Zudem speisen Nutzer mit sogenannten "Self-Trackern" den Datenpool mit Beobachtungen zum eigenen Verhalten.

Ein fiktiver Tag im Leben einer Journalistin zeigt, wie persönliche Daten, Events und Aktionen erfasst und in Kontext gebracht werden können:

6.30 Uhr: Der Wecker des Smartphones klingelt. Der Tag beginnt mit dem Life-Stream der Radio-App: BR5 aktuell – wie jeden Morgen.

7.00 Uhr: Joggen im Park. Die Sport-App ist aktiviert, um den Trainingserfolg zu messen. Per GPS wird die Laufstrecke getrackt, die Zeit gemessen und Daten zum Wetter gesammelt.

7.34 Uhr: Geschafft! Fünf Kilometer in 34 Minuten – das kann sich sehen lassen. In der App ist der Lauf nun beendet. Kalorienverbrauch, Tempo und Streckenverlauf werden angezeigt und mit dem Account auf Webseite der App synchronisiert.

8.00 Uhr: Der Computer fährt hoch, die wichtigsten deutschen Nachrichtenseiten laden. Nun noch schnell eine E-Mail an die Freundin schicken, um sich für den nächsten Tag mit ihr zu verabreden. Dabei erwähnen, dass in München schon wieder eine Fliegerbombe gefunden wurde.

8.10 Uhr: Beim digitalen Musikdienst ein paar Lieder für den Weg zur Arbeit laden. Nach dem Suchergebnis von "Augenbling" von Seed spuckt die App weitere Songs mit dem Wort "Augen" aus. Aber Sido? Lieber nicht!

8.20 Uhr: Müsli und Kaffee zum Frühstück. Die Daten in die Kalorien-App eingeben – zur Selbstkontrolle versteht sich.

8.30 Uhr: Ab aufs Rad und noch einmal die Sport-App aktivieren, denn ab Juni heißt es: Mit dem Rad zur Arbeit.

8.50 Uhr: Ankunft in der Redaktion, Sport-App stoppen. Kurz die E-Mails auf dem iPhone checken: Die Freundin hat der Verabredung zugesagt, Ort und Zeit als Kalendereintrag mitgeschickt. Im Postfach ist eine Buchungsbestätigung von der Fluggesellschaft. Ein Klick auf den Link und der Flug nach Paris ist im Kalender verewigt. Eine andere E-Mail zeigt: Der Augenarzttermin ist gesetzt. Nun noch in der Ordner-App nach dem alten Augenpass schauen.

8.55 Uhr: Ein Nachrichten-Fenster auf dem Smartphone geht auf. Ein Freund hat eine Karikatur zu Obamas Lauschangriff auf Merkel geschickt. Ein guter Tag dafür!

9.00 Uhr: Der Rechner ist hochgefahren. E-Mail-Programm, CMS und Internetbrowser sind gestartet, alle wichtigen News-Seiten und sozialen Kanäle geöffnet. Die Recherche zum NSA-Lauschangriff beginnt.

11.00 Uhr: Telefoninterview mit einem IT-Sicherheits-Experten. Das Gespräch wird am Computer aufgezeichnet und auf der lokalen Festplatte gespeichert.

12.30 Uhr: Zum Mittagessen mit den Kollegen zum Griechen. Das Essen mit EC-Karte bezahlen. Nicht vergessen: Die Ernährungs-Daten in die Kalorien-App eingeben. Auf dem Weg zurück in die Redaktion in der Amazon-App das Geburtstagsgeschenk für den Ehemann bestellen.

13.05 Uhr: Eine Eilmeldung über einen Unfall poppt auf dem Smartphone auf.

13.15 Uhr: Als Reporterin mit den Dienstwagen auf dem Weg zur Unglücksstelle, um live zu berichten. Vorher noch die Zieldaten ins Navi eingeben. Das Auto ruft Staumeldungen und Baustellenverzeichnisse ab, passt die Route automatisch an.

13.40 Uhr: Ankunft nach der vom Navi berechneten Zeit am Zielort. Die Vorortrecherche beginnt. Dank Diktier-App lassen sich Augenzeugenberichte aufnehmen und in die Cloud hochladen. So hat die gesamte Redaktion Zugriff.

13.45 Uhr: Erste Bilder mit dem Handy an die Redaktion und via Chat die wichtigsten Infos verschicken.

14.00 Uhr: Mit dem Laptop ins Internet einwählen, weitere Bilder an die Redaktion verschicken. Im Messenger-Chat mit dem Chef vom Dienst die weitere Vorgehensweise abstimmen.

14.15 Uhr: Fertigen Artikel per E-Mail verschicken. Ein Anruf in der Redaktion, dann geht’s zurück.

18.00 Uhr: Feierabend! Sport-App anschalten und gemütlich nach Hause radeln.

18.20 Uhr: Sport-App ausschalten. Im Supermarkt einkaufen, Bonus-Punkte mit der Kundenkarte sammeln und den Einkauf mit Kreditkarte bezahlen.

19.00 Uhr: Auf in den Biergarten! Kurz in der Nachrichten-App im Gruppenchat sich mit den Freunden über den Treffpunkt einigen. Dann zum Geldautomaten. Eine Überwachungskamera steht Spalier.

19.15 Uhr: Überwachungskameras auch in der U-Bahn.

19.30 Uhr: Endlich bei Brezn und Bier. Ein Foto vom Sonnenuntergang schießen und auf Facebook posten. Dabei vergessen, die Ortung via Handy auszuschalten. In der nächsten Mail an den neuen Bekannten wird nun der aktuelle Aufenthaltsort angezeigt.

22.00 Uhr: Endlich zuhause. Im TV-Programm gibt es nichts Spannendes. Nach ein paar Videos via Set-Top-Box einen Film ausleihen: "Der Staatsfeind Nummer 1".

00.30 Uhr: Ab ins Bett. Kurz den Tag Revue passieren lassen. Ein mulmiges Gefühl stellt sich ein.

(far)

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