René Köhler startet mit fahrrad.de ein zweites Mal durch. Nach der Benko-Pleite holt sich der Gründer seine Firma zurück. Aber warum? Ein persönliches Interview über Emotionen, Geld, Vertrauen – und Fahrräder.

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René Köhler gilt als einer der visionärsten Unternehmer Deutschlands. Köhler, der Gründer von fahrrad.de, hat eine bemerkenswerte Reise hinter sich. Von der Gründung seines Unternehmens im Jahr 2003, als die Idee, Fahrräder online zu verkaufen, noch als verrückt galt, bis hin zur Etablierung von fahrrad.de/Internetstores als Weltmarktführer war sein Weg von außergewöhnlichem Erfolg geprägt. Doch diese Erfolgsgeschichte nahm eine dramatische Wendung, als fahrrad.de unter der Führung von Signa und René Benko in finanzielle Schwierigkeiten geriet und zuletzt täglich eine halbe Million Euro Verlust machte. Heute, acht Jahre nach dem Verkauf und der erneuten Übernahme seines Unternehmens, spricht Köhler offen über seine Erfahrungen, Herausforderungen und die emotionalen Höhen und Tiefen, die mit seinem unternehmerischen Werdegang verbunden sind. Und über die Gründe, warum er im Fahrradgeschäft mit fahrrad.de noch einmal durchstarten möchte.

BikeX: Herr Köhler, vor ein paar Wochen titelte die Wirtschaftswoche: "Nun kann René Köhler beweisen, dass er es besser kann als René Benko." Was denken Sie, wenn Sie solche Schlagzeilen lesen?

Meine Mutter meinte, ich stünde nun unter Druck. Ich empfinde das nicht so, weil wir eine klare Strategie haben. Unser Ziel ist, profitabel zu sein. Ich finanziere das Unternehmen privat, die gesamte Ware. Die Banken sind mit der Finanzierung aktuell zögerlich. Man sagt, alle Benko-Assets sind toxisch. Was ich tue, ist, Assets eines Unternehmens zu übernehmen, das zuletzt eine halbe Million Euro Verlust am Tag gemacht hat. Das muss man sich mal vorstellen.

Wie schafft man es, täglich eine halbe Million Euro Verlust zu machen?

Das erreicht man, indem man jeden geschäftlichen Pfeiler eines Unternehmens absägt. Man setzt alles auf Wachstum, ohne auf die Kosten zu achten. Dann kauft man zu viel Ware ein, weil man glaubt, dass Corona eine einmalige Chance ist. Der Umsatz fiel von 600 auf 400 Millionen, was zu massiven Liquiditätsproblemen führte. Man hat die finanzielle Basis des Unternehmens zertrümmert. In dieser Branche ist es fast unmöglich, sich von solchen Fehlern zu erholen. So fährt man das Unternehmen mit voller Geschwindigkeit gegen die Wand und produziert eine halbe Million Euro Verlust am Tag. Wir sprechen hier von echten operativen Verlusten.

Das klingt nach einem Albtraum für jeden Unternehmer. Wie haben Sie diesen Prozess verfolgt, nachdem Sie seit 2016 nicht mehr operativ bei Internetstores dabei waren?

Es war unfassbar schlimm und ich persönlich hatte eine schwierige Zeit. Es ging nicht nur um mich, sondern auch um meine 20 wichtigsten Mitstreiter, die ich am Unternehmen beteiligt hatte, und das gesamte Team. Wir zahlten uns in den Gründerjahren wenig Gehalt aus. Ließen das Unternehmen wachsen. Wir wollten es erfolgreich entwickeln oder an die Börse bringen, dann sollte es uns gutgehen. Diese Vision hat uns angetrieben. Aber diese Träume und Visionen sind zerplatzt. Für mich war es einerseits quantitativ ungeschickt, weil ich noch 7 Millionen Aktien à 10 Dollar an dem Unternehmen besaß – das waren zum Börsengang rund 70 Millionen Dollar. Aber emotional hat es mir mehr wehgetan, dass Menschen, die 15 Jahre lang für mich Vollgas gegeben haben und dachten, sie könnten sich jetzt Wohneigentum leisten, nun ohne etwas dastehen. Und das mit Anfang, Mitte 40. Das hat mich am stärksten getroffen.

Es scheint, als ob der emotionale Schmerz für Sie größer war als der wirtschaftliche Verlust. Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit dem Niedergang von Internetstores Ihr "Baby" verloren haben?

Absolut. Ich erzähle gerne die Wahrheit. Ob mir das zugutekommt oder nicht, wird sich zeigen. Aber wenn man ein gewisses Niveau an finanzieller Unabhängigkeit erreicht hat, dann ist es das Emotionale, das viel schwerer wiegt. Mein emotionaler Zustand ist unabhängig vom finanziellen Erfolg. Ich habe erkannt, dass es für mich nicht das Quantitative ist, was mich so mitnimmt, dass ich sogar Gewichtsschwankungen bekommen habe. Es ist eindeutig das Emotionale, was schwerer wiegt.

In einem früheren Interview erwähnten Sie, dass Geld, der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit immer eine treibende Kraft war. Hat sich Ihre Einstellung dazu über die Jahre geändert?

Das Schwierige daran ist, dass man immer einen Wunsch hat, etwas zu besitzen, zu teilen oder zu tun. Wenn man es dann schafft, sagt man oft, dass es nicht mehr so wichtig ist, aber das kommt aus der Position heraus, dass man es erreicht hat. Jetzt zu sagen, dass Geld nicht mehr so wichtig ist, ist einfach, weil ich es geschafft habe. Es ist schwer zu vermitteln, aber ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine.

Ja, das kann ich nachvollziehen.

Aber es belastet mich immer noch sehr, wenn ich höre, dass eine Mutter im Supermarkt an der Mango vorbeigeht, obwohl ihr Kind sich so sehr eine Mango wünscht, sie es sich aber nicht leisten kann. Für mich ist es das Schlimmste, wenn jemand wegen Geldmangel unglücklich ist. Oder wenn ein Kind traurig ist, weil die Eltern die Miete nicht zahlen können. Solche Dinge berühren mich tief.

Wenn man den René Köhler von 2003 mit dem René Köhler von 2024 vergleicht – wie unterscheiden sich die beiden fahrrad.de-Gründungs-Szenarien?

Es ist eine spannende Reise durch meine unternehmerische Entwicklung. Ich bin in einem von den Nachkriegswirren geprägten Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater war Werkzeugmacher und hat sich später selbstständig gemacht. Er verkaufte in Stuttgart in einem Laden Fahrräder.Ich spürte den Wunsch, unabhängig zu werden, weil mein Vater auch sehr schwierig war. Meine Mutter hatte zweimal Krebs – es war keine angenehme Zeit. Ich sah, wie andere in Stuttgart lebten. Mit 19 Jahren habe ich dann angefangen, Fahrräder im Internet anzubieten. Damals hatte ich riesige Träume, aber nichts in der Hand. Das definierte mein Leben. Ich hätte es als nicht lebenswert empfunden, mit 400 Euro Gehalt und dann nach der Ausbildung vielleicht mit 1400 Euro über die Runden zu kommen. Alles, was zählte, war, endlich erfolgreich zu sein.

Am 14. April 2003 gründete ich fahrrad.de. Als ich mein erstes Fahrrad an einem Tag verkaufte, war ich überglücklich. Danach verkaufte ich an einem Tag zwei Fahrräder. Dieses Gefühl, zwei Fahrräder an einem Tag zu verkaufen, war so stark, dass ich es bis heute abrufen kann.

Sie haben für den Erfolg Ihre Jugend investiert.

Als Teenager fuhr ich mit meinem Motorroller durch die feinen Stuttgarter Wohngegenden und schaute mir die Häuser an. Ich träumte davon, eines Tages in einem dieser Häuser zu leben. Am 14. April 2003 gründete ich fahrrad.de. Als ich mein erstes Fahrrad an einem Tag verkaufte, war ich überglücklich. Danach verkaufte ich an einem Tag zwei Fahrräder. Dieses Gefühl, zwei Fahrräder an einem Tag zu verkaufen, war so stark, dass ich es bis heute abrufen kann. Es war der Moment, in dem ich wusste: Das wird funktionieren. Diese erste Gründungserfahrung war so intensiv, dass sie nicht vergleichbar ist mit meiner jetzigen Gründung. Damals hatte ich nichts – und wollte es unbedingt schaffen. Heute habe ich schon etwas erreicht. Emotional sind die beiden Gründungen nicht vergleichbar.

Warum aber haben Sie fahrrad.de heute noch einmal gegründet?

Weil es für mich einfach traurig war, wie es geendet ist. Das Unternehmen war der Weltmarktführer. Im Jahr 2003 Fahrräder online zu verkaufen, war eine total verrückte Idee. Aber es hat sich alles um 180 Grad geändert. Es war revolutionär, Fahrräder online anzubieten. Ich konnte nicht zulassen, dass so ein innovatives und erfolgreiches Unternehmen so traurig endet. Damals gab es keine funktionierenden Shop-Systeme oder Online-Marketing-Tools. In dieser Phase ging ich, ein 19-Jähriger, ohne Geld, ohne Erfahrung und ohne Beziehungen, hin und sagte: "Ich werde der weltgrößte Online-Fahrradhändler." Die Geschichte wurde wahr. Dass das Unternehmen dann so dilettantisch an die Wand gefahren wurde, konnte ich nicht stehen lassen.

Aus Ihrer Antwort ließe sich so etwas wie verletzter Stolz herauslesen.

Alles, was ich bisher verkauft oder aufgebaut habe, existiert noch. Dieses Unternehmen war das einzige, das nicht funktionierte. Ich bin nicht daran gewöhnt, dass Dinge, die ich erschaffen habe, mit dem Wort Insolvenz in Verbindung gebracht werden. Wenn etwas strukturell nicht mehr funktioniert, wie vielleicht der Kohlebergbau oder ein altes Geschäftsmodell wie zum Beispiel Karstadt und Kaufhof, hätte ich nicht noch mal gestartet. Aber bei etwas, das grundsätzlich intakt ist und nur durch Missmanagement scheitert, finde ich es schade, es so zu belassen. Das ist der Grund, warum ich es ändern wollte.

Unser Ziel ist, profitabel zu sein. Welches Wachstum dabei entsteht, wird sich zeigen. Wir wollen einfach einen guten Job für den Kunden machen.

Sie haben das sicherlich mit einer klaren Perspektive angefangen. Was ist dieses Mal Ihr Ziel für fahrrad.de?

Unser Ziel ist, profitabel zu sein. Welches Wachstum dabei entsteht, wird sich zeigen. Wir wollen einfach einen guten Job für den Kunden machen. Das bedeutet, ein kuratiertes Sortiment anzubieten und zuverlässig zu liefern. Wir verkaufen nur, was verfügbar ist, und das geht sofort raus. Obwohl wir erst seit ein paar Wochen wieder am Start sind, läuft das schon besser als zuvor. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Erreichbarkeit, wenn etwas schiefgeht.

Haben Sie nach dem Neustart von fahrrad.de gemerkt, dass das Vertrauen der Kunden verloren gegangen ist?

Ja, absolut. Die Kundenzufriedenheit in den letzten Monaten war katastrophal. Das macht es jetzt viel schwerer. Es ist eindeutig, dass wir diesen Vertrauensverlust spüren. Wir können die Kunden nicht einfach anschreiben und sagen: "Hey, wir sind jetzt wieder da." Das ist leider nicht möglich. Es ist nicht einfach, diese Kommunikation richtig zu gestalten. Was wir jedoch sehen, ist, dass es jeden Tag besser läuft. Jeden Tag verbessern sich die Zahlen. Letzten Samstag war der bisher stärkste Tag. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Wenn Sie auf den Fahrrad- und E-Bike-Markt schauen, was erwarten Sie von diesem Markt?

Das Fahrrad ist ein geniales Produkt. Es ist das effizienteste Fortbewegungsmittel, nur durch Muskelkraft oder mit Unterstützung. Der Markt hat sich in den vergangenen Jahren unglaublich entwickelt. Als ich 2016 die Mehrheit an fahrrad.de verkauft habe, war unser Anteil an E-Bikes extrem gering. Wir hatten das verpasst, weil wir uns zu sehr aufs sportliche Segment konzentriert hatten. Auch das Thema Leasing haben wir vernachlässigt.

Klingt nach einer Branche, in der Sie viel Potenzial sehen.

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In Management-Magazinen liest man oft, dass die Fahrradbranche am Boden ist und die Aussichten schlecht sind. Das ärgert mich, weil das so prozyklisch ist. Gerade die Private-Equity-Leute wollen immer auf dem Höhepunkt investieren und kaufen Firmen zu überhöhten Preisen. Ich war selbst Anteilseigner an einer kleinen Health-Care-E-Commerce-Firma, die für 110 Millionen Euro in bar gekauft wurde, was ich absurd fand. Jetzt sieht es so aus, als ob alle schlauen Köpfe auf den Zug aufspringen. Aber dann zahlen sie die Rechnung, wenn es schiefgeht. Die Fahrradbranche wird derzeit schlechtgeredet, aber ich glaube, man muss antizyklisch agieren. Momentan denken viele, dass die Fahrradbranche am Boden ist. Aber gerade jetzt sollte man reingehen, um vom nächsten Aufschwung zu profitieren. Wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, reden wir nur von einem Rückgang von etwa 15 % gegenüber dem Spitzenwert. Also sind wir immer noch auf einem sehr hohen Niveau.

Die Zeichen stehen also gut, dass Sie es besser machen als René Benko.

Das wäre mein Anspruch.  © Bike-X

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