Eiskalte Tempomacher? Leistungsgeneratoren? Pfft, doch nicht Lamborghini! Die zelebrieren Hochtechnologie, machen sie gleichzeitig irre einfach fahrbar. Kommen Sie mit!
Markige Sportler mit mehr Emotion, als manchem lieb ist? Wer Lamborghini darauf reduziert, verpasst 90 Prozent des Potenzials der Italiener. In Sant’Agata verbinden sie schließlich zukunftssicher Hochtechnologie mit traditioneller Sport-Aura. Stilecht, eh klar.
Und sonst? Tauchen wir gemeinsam ein in einen Kosmos aus Technik und Dynamik, aktueller und frischer als je zuvor. Stichworte? Urus SE als Hybrid-SUV, der V12-Hybrid-Supersportler Revuelto und der Huracán-Nachfolger Temerario mit komplett neu entwickeltem Hochdrehzahl-V8 plus drei E-Maschinen wie beim großen Bruder. Staub auf der Modellpalette? Bei Lamborghini ähnlich wahrscheinlich wie dünner Instant-Espresso in einer italienischen Bar.
Entscheidend, wenn es technisch vorangehen soll, sind klare Ansagen. Die macht bei Lamborghini: Dr. Ing. Rouven Mohr. Der hat nicht nur promoviert, sondern auch etwas, was keine Uni lehrt: automobile Begeisterung, Neugier und so etwas wie eine neuronale Brennkammer für Technik. Wer in seiner Jugend mit schmalem Budget zum Driften nach Japan fliegt, sich für alles mit Motor interessiert und eine solide Sammlung von Fahrzeugen mit Motoren besitzt, dem kannst du vertrauen.
So wie die Mannschaft, die unter anderem den Temerario auf die Räder gestellt hat. Samt dem Lamborghini-Fingerabdruck, bestehend aus Feedback, Reaktionsfreude und Fahrbarkeit. Klingt philosophisch, ist aber habhaft.
Demokratie mit 920 PS
Lamborghini steht für emotionale Performance, wobei ein hohes Leistungslevel nur die Eintrittskarte ist, nicht die Differenzierung. Das verspricht Mohr beim Briefing, bevor wir V8 und V12 brüllen lassen. Und: Lamborghini will stets das emotionalste Fahrerlebnis bieten. Längs- und querdynamisch. Plus eine Demokratisierung der Dynamik. Was bringt es, wenn nur eine Handvoll Profis das Potenzial nutzen? Lamborghini stellt den Fahrer ins Zentrum, bindet ihn direkt ein.
Entkopplung ist Gift fürs Fahrerlebnis. Deshalb die typische Sitzposition, das Verhältnis von Armaturenbrett zu Lenksäule und Sitzhöhe. "Feel like a Pilot" ist hier kein Spruch, sondern Anspruch. Feedback entsteht durch Sound, spezielle Vibrationen, Reaktivität durch den Antriebsstrang, Lenkimpulse, Gierkraftaufbau. Wie schnell baut sich etwas auf, wie schnell meldet es zurück?
Und schließlich die Demokratisierung: Die Mehrheit der Kunden soll entspannt vollen Fahrspaß erleben, ja sogar ans Limit gehen können. Vom Auto unterstützt, immer mit einem guten Gefühl, so Mohr. Einer der Schlüssel: die kontrollierte Aufbaubewegung. Und die Reifen. Sie müssen verzeihen können, mit sanfter Änderung des Griplevels, die Grundbalance muss bei nachlassender Reifen-Performance bestehen bleiben.
Wie kommt man dahin? Ziel definieren, ausführen und prüfen, ob es passt. Klingt trivial, stimmt aber. Wobei in jeder Phase intensive Arbeit steckt. Siehe Lamborghini Temerario. Er beendet die V10-Tradition von Gallardo und Huracán. Mit einem schnieken Vierzylinder-Hybrid. Scherz. So was ginge gar nicht. Nicht mal ein V6, obwohl der problemlos genug Leistung generieren könnte, wie Mohr verrät. Aber eben nur generieren, nicht zelebrieren. Selbst der aktuelle, definitiv ebenfalls muskulöse Biturbo-V8 aus dem Urus reicht Lamborghini nicht aus.
Damit die Kunden beim Wechsel von Huracán auf Temerario nicht ins kalte Wasser springen müssen, noch dazu mit hartem Aufschlag, baut man einen neuen V8-Biturbo. Einen eigenen, vom weißen Blatt. Teuer und aufwendig. Mit drei Axialfluss-Elektromotoren, unter anderem um an der Vorderachse Torque Vectoring zu ermöglichen.
180 Grad, 10.000/min
Warum? Geduld. Vorher kurz zum überquadratischen V8 mit den beiden großen Ladern. Die braucht er, um bis 10.000/min linear zuzulegen, seine Spitzenleistung von 800 PS zwischen 9.000 und 9.750/min abzuliefern – ohne untenrum zu schwächeln. Da pusht die E-Maschine auf der Kurbelwelle, um Leistung und Drehmoment zu formen. Der Axialflussmotor ist integrativer Bestandteil, sonst könnte man keine so großen Lader verwenden, nicht die saugerartige Linearität erreichen. Zu der auch die flache 180-Grad-Kurbelwelle (Flat Plane) beiträgt. Fein vibrierendes Werkzeug statt wummernder Drehmomenthammer.
Technik-Deep-Dive: siehe links. Jetzt: Auftritt Temerario. In klassischer Silhouette mit viel Aufwand zu 920 PS Spitzenleistung getrimmt, die sich vollkommen natürlich und gleichmäßig entfaltet. Intensiv selbst vom Beifahrersitz spürbar, in dem ich nun klemme. Live auf dem Modena Circuit. Rouven Mohr doziert nicht nur, er fährt auch, zeigt mir persönlich, was der Temerario kann. Leicht fühlt er sich an, der Supersportler. Schon nach den ersten Metern. Hat etwas von einem asketischen Eintonner, so leicht und agil. Aber nie nervös. Womit wir bei den zwei Vorderachsmotoren sind. Sie helfen beim Eindrehen wie beim Rausfahren aus Kurven, sorgen zusammen mit dem zentralen Antriebsstrang für Kurvenfreude, die man sowohl driftgierig als auch stabil-performant erleben kann. Nach Wunsch, Modus und Kommandos an Pedalen und Lenkrad.
Der Antriebsstrang schiebt überall, von unten bis oben und dazwischen. Gern jenseits sechs-, sieben-, achttausend. Nie spitz, nie mit Durchhänger. Dafür sorgen die drei E-Motoren, die das Ansprechen und Reagieren beschleunigen. Auf ein Niveau, das kein Verbrenner solo erreicht. Dafür punktet dieser V8 mit seiner Linearität. Egal bei welcher Drehzahl, bei welcher Last man ans Gas geht – er ist schon da, dreht furios und dosierbar, ändert die Tonlage, auch abhängig vom Fahrmodus, ansaug- wie abgasseitig.
Selbst die Vibrationen (zweite Ordnung wegen der 180-Grad-Kurbelwelle unbalancierter als bei konventionellen V8) fühlen sich immer etwas unterschiedlich an. Sie unterstützen das 800 PS starke Verbrenner-Orchester, während die zwei ölgekühlten Axialfluss-E-Maschinen an der Vorderachse als Dynamik-Dirigenten fungieren.
Linear und flirtbereit
Mehr als nur Spitzenleistung, dieses Versprechen löst der Temerario wie selbstverständlich ein. Mit einer Linearität, die einerseits Spaß macht, andererseits die Basis für ein hochdynamisches Fahrererlebnis legt. Entweder mit hochagilem Heck samt Querfahrt unterschiedlicher Eskalation. Oder mit ernsthafter Längsdynamik, wo der V8 sogar dann noch zulegen kann, wenn andere schalten müssen oder ihre Ventile schon die Engel singen hören.
Am erstaunlichsten bleibt aber, wie spielerisch der Temerario in Kurven exakt auf Linie bleibt, ganz innen am Kerb feilt, um mächtig und traktionsintensiv rauszuspulen. Oder dich ganz natürlich mit der Querfahrt flirten lässt, von kleinem zu großem Winkel und zurück. Intuitiv, feinsinnig-präzise – und spaßig. Da laufen einem eher die Freudentränen über die Wangen als der Angstschweiß ins Leder des Lenkradkranzes. Der Temerario ist dein Kumpel. Sofort. Einer, der fürsorglich ist und sehr schnell sein kann.
Wie sich das von anderen Modellen abgrenzt? Sehen wir jetzt. Rein ins Revuelto-Cockpit. Auch hier Pilotenkanzel-Charakter. Ebenfalls mit Verbrenner und E-Maschine in der Mitte und zwei Axialfluss-Elektrikern an der Vorderachse. Bloß dass hinter uns jetzt kein filigraner Hochdrehzahl-V8-Biturbo schreit, sondern ein 6,5-Liter-V12. Hubraumgewaltig, frei saugend. Er braucht keine Lader, atmet selbst mit großer Lunge. Drehzahlscheu? Nein. Der Zwölfzylinder bettet seine Potenz auf eine stämmige Basis, bevor er durch die Mitte wuchtet, Richtung 8.000/min schmettert. Jederzeit energisch, dabei kontrolliert, gleichmäßig und dennoch unwahrscheinlich stark. Ablesbar am Tacho, auf dem die Zahlen unter Last wie wild flitzen.
1.015 PS. Aber freundlich
Auch hier: freundlich und zugewandt und dennoch schnell. Kein furioser Eskalator, wohl aber ein leistungsfähiger Supersportler, bei dem du jedes PS fühlst. Stets im Gefühl, jedes einzeln auskosten zu können. Auch im Revuelto gibt’s keinen abgeschlossenen Power-Raum, den du nur mit Rennlizenz betreten darfst, kein Extra-Dynamik-Level, das du erst mühsam freischalten musst. Ein Lamborghini ist immer da, mit allem, will genutzt werden. Wie einfach das geht, zeigt der Revuelto auf dem Circuit. Immer einen Tick stabiler als der Temerario, eher auf Geradeausfahrt getrimmt als der kleinere Bruder, aber auch kurvenwillig, agil, schnell und emotional. Reinsetzen, wohlfühlen und wenn gewünscht schnell fahren.
Warmlaufzeit? Für den Fahrer extrem kurz. Ein, zwei Runden, dann ist er da, der Flow. Tempo nach Wunsch. Auch hier lässt du das Gas manchmal extralange stehen, nur um dem V12 beim Drehen zuzuhören, spielst mit dem Gaspedal wie mit einem Musikinstrument, mit der Lenkung und der Bremse wie mit einem Sportgerät, nur um auch hier das Handling zu genießen.
Lamborghini: mehr automobile Emotion, als einem lieb ist? Niemals. Aber immer so viel wie möglich! © auto motor und sport
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.