Hunderttausende Rohingya wurden vor einem Jahr gewaltsam aus ihrer Heimat Myanmar vertrieben. Am 25. August 2017 begann eine Massenflucht, die in den Flüchtlingslagern im Nachbarland Bangladesch endete. Trotz aller Perspektivlosigkeit wünschen sich die Rohingya vor allem eine sichere Rückkehr nach Myanmar.
Aus dem Chaos in den Lagern der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch entsteht allmählich Ordnung - wenn auch eine wacklige. Ein Jahr nach Beginn der Massenflucht, als allein im ersten Monat eine halbe Million Rohingya kamen, sind die dringendsten Grundbedürfnisse inzwischen gedeckt. Jetzt drängen sich andere, nicht minder ernste Sorgen auf.
Nur ein Drittel des Bedarfs bisher gedeckt
Die Inter Sector Coordination Group (ISCG), bei der die Fäden des humanitären Einsatzes der zahlreichen Organisationen in den Camps zusammenlaufen, hat für dieses Kalenderjahr rund 950 Millionen US-Dollar (etwa 823 Millionen Euro) von der internationalen Gemeinschaft erbeten. Nur ein Drittel davon ist bisher gedeckt.
"Wir bewerten gerade unsere Prioritäten neu, um zu sehen, wie wir mit weniger Geld dringend benötigte Leistungen weiterhin anbieten können", erklärt Marco Buono, Chef der Notfallkoordination bei der ISCG. "Am Ende werden wir manche Maßnahmen streichen müssen."
Überfüllung der Lager großes Problem
Davon abgesehen ist dem Italiener zufolge die Überfüllung der Lager derzeit das größte Problem. Im südbangladeschischen Bezirk Cox's Bazar leben inzwischen in Dutzenden Camps rund eine Million Rohingya auf insgesamt etwa 13 Quadratkilometern. Das entspricht ungefähr der Fläche des Ortsteils Westend in Berlin-Charlottenburg, mit gut 40.000 Einwohnern.
Es müsse mehr Land zur Verfügung gestellt werden, fordert Buono. Das wollen die Behörden aber nicht. Bangladesch will die Flüchtlinge nicht dauerhaft aufnehmen. Deshalb dürfen keine permanenten Unterkünfte gebaut werden.
Die Flüchtlinge dürfen deswegen auch die Lager nicht verlassen, einer geregelten Arbeit nachgehen oder eine formelle Schulbildung bekommen.
Rückführung der Flüchtlinge in der Schwebe
So schwierig die Situation für Bangladesch auch ist: Die Rohingya werden auf absehbare Zeit bleiben müssen. Weil Ende des Jahres eine Parlamentswahl ansteht, erwartet im Moment niemand von der Regierung, dass sie das öffentlich eingesteht. Es besteht aber die leise Hoffnung, dass es nach der Wahl etwas mehr politischen Spielraum gibt.
Eine Rückführung der Flüchtlinge in ihre Heimat Myanmar wurde zwar im November von den beiden Ländern vereinbart. Seitdem ist aber nichts geschehen - Myanmar hält das Nachbarland hin.
Der Grund liegt auf der Hand: Die Angehörigen der muslimischen Minderheit werden im mehrheitlich buddhistischen Myanmar seit Jahrzehnten unterdrückt und nicht als Staatsbürger anerkannt.
Nun hat die Armee des ehemals Burma genannten Landes die meisten von ihnen mit brutaler Gewalt vertrieben - nach Ansicht der UN eine systematische ethnische Säuberung, vielleicht sogar Völkermord.
Armee bestreitet weiter "Säuberungsaktionen"
Nach Angriffen von Rohingya-Rebellen auf Posten der Sicherheitskräfte am 25. August 2017 begannen die "Räumungsoperationen" der Armee in den Rohingya-Dörfern noch am selben Tag. Nach Aussage der Regierung sind die Berichte von Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung durch Soldaten, unterstützt von buddhistischen Mobs, schlicht "Fake News". Die Rohingya hätten ihre eigenen Dörfer niedergebrannt, heißt es.
Die meisten Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch sind sich einig: Sie würden gerne zurück, aber nur mit Sicherheitsgarantien und der Anerkennung ihrer Bürgerrechte. Da Myanmar diese Forderungen nicht erfüllen wird und Bangladesch sie weiter loswerden will, bleibt nur, das Leben in den Camps im Rahmen des Machbaren zu verbessern.
Hunderttausende Kinder ohne Schulbildung
Das Kinderhilfswerk UNICEF mahnte am Mittwoch, die Bildungsmöglichkeiten der Kinder in den Flüchtlingslagern zu verbessern.
Noch immer leben rund 500.000 Kinder ohne Schulen in den Flüchtlingslagern. "Wenn wir nicht jetzt in die Bildung investieren, laufen wir Gefahr, eine verlorene Generation von Rohingya-Kindern heranzuziehen", sagt der Unicef-Beauftragte in Bangladesch, Edouard Beigbeder.
Es gebe zwar Lernzentren für 140.000 Kinder bis 14 Jahre, aber es gebe noch keinen richtigen Lehrplan und nicht genügend sichere Schulräume. Auch Jugendliche über 14 bräuchten Angebote.
Monsunzeit bald überstanden
Immerhin: Die Monsunzeit, die jedes Jahr zwischen Mai und September sintflutartigen Regen und heftigen Wind bringt, ist bislang viel glimpflicher abgelaufen als befürchtet.
Im Juni und Juli ist zwar überdurchschnittlich viel Regen gefallen, und es hat in den Lagern mehrere Hundert Erdrutsche gegeben. Es gibt aber nur einen Todesfall unter den Flüchtlingen zu beklagen.
Es herrscht allerdings noch Sorge vor der Verbreitung von Krankheiten, die sich durch verunreinigtes Wasser übertragen, weil Latrinen überfluten. (sus/dpa) © dpa
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