Die Freude über den neuen Sound, den man beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) vernommen haben wollte, dauerte exakt eine Nacht. Nun knickt der DFB doch vor dem Zweckbündnis Fifa/Katar ein und lässt seinen Kapitän Manuel Neuer bei der WM 2022 in Katar doch keine Armbinde mit den Regenbogenfarben tragen.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf beweist die Standfestigkeit von Wackelpudding: Sein Ruf als Erneuerer des deutschen Fußballs ist schon angekratzt, bevor seine Nationalelf überhaupt das erste Spiel beim umstrittensten Turnier der WM-Geschichte absolviert hat. Es ist einfach nur absurd.

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Das Bisschen an Regenbogenfarben, das Manuel Neuers Kapitänsbinde schmücken sollte, war in eine Herzform gepresst und mit Farben angereichert, die ein Regenbogen gar nicht liefert, Schwarz zum Beispiel. Der DFB wollte mit dem Stück Stoff an Neuers Arm zwar symbolisieren, dass Diskriminierung im Fußball nichts verloren hat und schon gar nicht bei einer Weltmeisterschaft. Aber man mochte den stummen Protest auch nicht übertreiben. Man wusste ja, dass WM-Gastgeber Katar allergisch auf Regenbogen reagiert. Die Protestnote war Richtung Heimat gerichtet, der DFB wollte zeigen: Seht her, wir tun was!

Sogar ein fauler Kompromiss ist in Katar noch zu viel

Wir: Dahinter steckte ein Bündnis von zehn Nationen aus Europa. Seit dem Wochenende wissen wir: Sogar dieser faule Kompromiss aus Botschaft und Rücksichtnahme bringt den Weltverband Fifa gegenüber dem WM-Gastgeberland in Erklärungsnot. Kurzerhand verbot man den Europäern das Armsignal: Die Spielführerbinde sollte neutral sein, jede Abweichung von der Kleiderordnung steht unter Strafe. Dem DFB war die Strafandrohung zunächst wurscht: Notfalls wollte Präsident Bernd Neuendorf die Strafe aus der Verbandskasse zahlen. Das waren komplett neue Töne und gewiss keine Selbstverständlichkeit.

Aber das Schmierentheater nahm seinen Lauf. Die Franzosen knickten sofort ein und versprachen Gehorsam. Gestern beugten auch Vertreter der restlichen neun Nationen das Knie. Niemand wollte riskieren, dass die Fifa ihrem Geldgeber Katar zuliebe zu noch schärferen Sanktionen greift. Sogar der Abzug von Punkten stand im Raum. Die Methoden sind aus jedem Mafia-Film bekannt: Entweder du tust, was ich will, sonst … Der DFB lenkte ein, knurrend zwar, aber kleinlaut.

Nächster Tiefpunkt im Weltfußball

Der Weltfußball hat seinen nächsten Tiefpunkt erreicht und beweist aufs Neue, wie falsch es war, die WM an ein Land zu vergeben, das jeden Anstand mit Füßen tritt.

Katar verdient diese Weltmeisterschaft nicht. Weder sportlich, wie man beim peinlichen 0:2 gegen Ecuador sehen konnte, noch moralisch, wie Katar immer wieder und mit Nachdruck belegt. Hier hätte die Stunde des DFB-Präsidenten schlagen können. Haltung zeigen und sogar Konsequenzen in Kauf nehmen: Das wäre das Gebot gewesen. Notfalls sogar im Alleingang, um zu zeigen: Mit uns nicht! Der DFB aber macht sich klein, versteckt sich mit seiner Begründung hinter dem sportlichen Wohlergehen seiner Spieler. Umgekehrt gefragt: Was ist ein WM-Titel noch wert, der unter der Aufgabe aller Prinzipien erspielt wird?

Die Nationalspieler wollen jetzt mit alternativen Signalen Zeichen setzen. Das Ansinnen ist aller Ehren wert und trotzdem die nächste Peinlichkeit. Wenn man gezwungen ist, seine Meinungsäußerung kundzutun, ohne anzuecken, ist man dem diktatorischen System des Fifa-Präsidenten Gianni Infantino schon verfallen. Er hat den Machtkampf um ein Stückchen Stoff gewonnen. Die Deutschen haben ihr Gesicht verloren und nicht die Machthaber von Katar, die mit Geld und Herrschaftssucht alles kaputt machen, was den Weltfußball seit fast hundert Jahren auszeichnet. Wir Deutschen geben nur noch brav Pfötchen.

Interessiert Sie, wie wir über die WM in Katar berichten? Wir haben unsere Beweggründe in einem Text für Sie zusammengefasst.
Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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