Bei den Landtagswahlen in Thüringen ist die AfD stärkste Kraft. Die CDU sieht den Regierungsauftrag trotzdem bei sich. Doch eine mehrheitsfähige Regierung ist nicht in Sicht.
Lautes Klatschen und vereinzelter Jubel: Die CDU ist bei der Landtagswahl in Thüringen mit 23,6 Prozent auf dem zweiten Platz gelandet – die rot-rot-grüne Minderheitsregierung ist abgewählt. Für die Christdemokraten in der "Zentralheize" in Erfurt ist das ein gutes Signal. Dass die AfD mit 32,8 Prozent mit Abstand als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgeht, sorgt für betroffene Gesichter. Das Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag hingegen für ironische "ooooooohs".
Frenetische Feierstimmung bleibt dennoch aus. Der Spitzenkandidat
Ein Plan, der gar nicht so einfach umsetzbar sein dürfte. Mit der Linken gibt es auf Bundesebene einen Unvereinbarkeitsbeschluss – ebenso mit der AfD. 88 Sitze hat der Landtag, eine Mehrheitskoalition bräuchte demnach mindestens 45 Sitze. Ein Bündnis mit dem BSW (15,8 Prozent) und der SPD (6,1 Prozent) käme jedoch nur auf 44 Sitze.
Wenig verwunderlich vielleicht, dass trotz des klaren zweiten Platzes und Liveband die Feierstimmung auf der CDU-Party mäßig ausfällt. Gegen 21:30 Uhr ist der Innenraum den "Zentralheize" wie leergefegt. Mit Blick auf die zeitnahe Rückkehr des Spitzenkandidaten Voigts werden die verteilten Christdemokraten noch einmal auf die Tanzfläche gebeten. Die große Party aber bleibt aus.
Wahlbeteiligung knapp zehn Prozentpunkte höher als 2019
Viele Thüringer haben in den vergangenen Wochen wohl regelmäßig über die Landtagswahlen im Freistaat gesprochen – am Abendessenstisch, im Freundeskreis. Das Stadtbild dominierten Plakate verschiedener Parteien, Wahlstände – aber auch Aufforderungen zur Wahl zu gehen von parteiunabhängigen Bündnissen wie "Weltoffenes Thüringen".
Wie stark die Wahl polarisiert hat, zeigt sich auch an der Wahlbeteiligung. Laut ARD lag sie bei 73,6 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Wahl 2019 gingen nur 64,9 Prozent der Wahlberechtigten an die Urne.
Schon in den Wochen und Tagen vor der Wahl wurde deutlich: Viele Menschen in Thüringen fürchten sich vor einem hohen Ergebnis für die AfD. Am Mahnmal Buchenwald sind am Wahlwochenende Lichtinstallationen des internationalen Festivals Genius Loci unter dem Titel "Es ist 5 vor 33" zu sehen. Das Mahnmal ist laut der Gedenkstätte Buchenwald das größte Mahnmal in Erinnerung an die nationalsozialistischen Konzentrationslager in Europa. Die Atmosphäre der Lichtinstallationen: Beklemmend.
Am Wahlwochenende und Wahltag kam es außerdem zu zahlreichen Demonstrationen, etwa vor dem Erfurter Landtag. Hier hat das Bündnis "Auf die Plätze" mobilisiert. Auch der Verein Campact ist vor Ort. Mitgründer Christoph Bautz sagt im Gespräch mit unserer Redaktion im Vorfeld der Protestaktion, man erwarte nicht so viele Menschen, wie in den vergangenen Tagen. Das Polizeiaufgebot ist dennoch groß. Der Zugang zum Landtag mit Wellenbrechern versperrt. "Wir haben bewusst nicht bundesweit mobilisiert, das ist im Osten kontraproduktiv", sagt Bautz. Am Ende haben laut Polizei etwa 550 Menschen an der Demo teilgenommen, der ÖPNV durch die Innenstadt war zeitweise lahmgelegt.
"Wir sind an einem Punkt, an dem wir die demokratischen Parteien auffordern, zusammenzuarbeiten. Das BSW darf sich nicht verzetteln in Forderungen zur Koalitionsbildung, die nicht einhaltbar sind", sagt Bautz. "Wir fordern auch, dass Katja Wolf und Mario Voigt klar nein sagen zur AfD – in einer Minderheitsregierung lässt sich nicht ausschließen, auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein", fügt Kampagnen-Managerin Lara Eckstein an.
Der Wahlabend ist für die demokratischen Parteien eine herausfordernde Situation. Klar gewonnen hat die AfD. Die Partei wollte nach rechtlichem Hin und Her unter sich feiern – Journalisten erhielten keinen Zutritt zur Wahlparty. Auch unsere Redaktion hat eine Absage erhalten.
Landeschef
Thüringen steht schwierige Regierungsbildung bevor
Noch herausfordernder dürfte nun die Regierungsbildung werden: BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf hat angekündigt, mit allen demokratischen Parteien sprechen zu wollen, doch Chefin Wagenknecht könnte ihr ein Schnippchen schlagen. Denn obwohl die Parteigründerin in Thüringen nicht auf den Wahlzetteln steht, hat sie angekündigt, mitreden zu wollen. Sie wolle über rote Linien mitverhandeln.
Eine Linie, die Wagenknecht bereits im Vorfeld der Wahl angekündigt hat: Eine Landesregierung, an der auch das BSW beteiligt ist, müsse den Waffenlieferungen an die Ukraine sowie Stationierungen von US-Langstreckenraketen entgegentreten und sich für mehr diplomatische Bemühungen der Bundesregierung einsetzen.
Die CDU ist seit Beginn der russischen Invasion mit Forderungen nach mehr und schnelleren Waffenlieferungen aufgefallen, Außenpolitiker Johann Wadephul hat zudem die US-Langstreckenraketen begrüßt.
Die SPD auf der anderen Seite ist Kanzlerpartei und unmittelbar an der Bundesregierung beteiligt. Auch die Sozialdemokraten sprechen sich für Waffenlieferungen aus. Für den Landesverband dürfte es schwer werden, sich gegen Beschlüsse der Bundespartei zu stellen.
Doch rechnerisch reicht es für ein Bündnis aus CDU, BSW und SPD ohnehin nicht. Das Dreiergespann war bislang die einzig mögliche Mehrheitsregierung. Und die CDU will weiterhin nicht mit der Linken zusammenarbeiten – obwohl die sich sogar offen zeigt, eine Regierung von CDU, BSW und SPD zu tolerieren. Was allerdings bereits klar ist: Das rot-rot-grüne Minderheitenbündnis von Ministerpräsident
Katerstimmung bei der Thüringer Linken
Im "Zughafen" am Erfurter Güterbahnhof läuft "You can’t always get, what you want" von den Rolling Stones. Die Halle ist mit rotem Licht eingefärbt, auf der Bühne wird eine Slideshow von Bildern aus dem Wahlkampf gezeigt. Und die Linken fühlen das Lied der Rockband an diesem Abend wohl besonders tief.
Für die Partei des Ministerpräsidenten ist der Wahlabend ein Schlag in die Magengrube. Die Stimmung ist gedrückt. Eine letzte Hoffnung legten die Genossen auf die Briefwahlstimmen – und die endgültige Auszählung der großen Studentenstädte Erfurt, Jena und Weimar – aber es half nichts. Ministerpräsident Bodo Ramelow wird trotz der Katerstimmung empfangen wie ein Held.
Er macht deutlich, dass die Linke bereit ist, die Regierungsbildung mitzutragen und Mario Voigts Entscheidungen zu akzeptieren. Was er nicht akzeptieren könne: Wenn seine Partei weiterhin dämonisiert werde. Während es eine Partei gebe, die wirklich der Dämon ist. Als Verlierer will Ramelow die Linke nicht sehen.
"Wir lassen uns von diesem Ergebnis nicht entmutigen", sagt Landesvorsitzender Christian Schaft. Gemeinsam mit Verbänden aus der gesamten Bundesrepublik habe die Thüringer Linke gegen die AfD gekämpft. Trotzdem schmerze das Ergebnis des Wahlabends. Schaft kritisiert die BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf, die zu Beginn des Jahres selbst noch Mitglied der Linken war. Er sagt: "Katja Wolf hat ihr Versprechen nicht eingehalten, geschwächt wurde nicht die AfD, sondern die Linke."
Der Ball für die Regierungsbildung liege aber bei der CDU. "Ich erwarte, dass Mario Voigt mit allen demokratischen Parteien ins Gespräch kommt, um Mehrheiten für die konstituierende Sitzung im Landtag zu schaffen.
Und dafür reicht Voigt das Bündnis mit BSW und SPD inzwischen nicht mehr. Gut möglich also, dass er am Ende also doch auch mit der Linken reden wird. Ob er nun will, oder nicht. Das Worst-Case-Szenario der CDU ist komplett.
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