- Nimmt die zuletzt wichtigste Pipeline für russische Gaslieferungen nach Europa am Donnerstag wieder den Betrieb auf?
- Bislang sieht es danach aus - doch die Gasmenge bleibt weiter ein Rätsel.
- Moskau ließ die Abnehmer bis zuletzt im Unklaren.
Tag der Wahrheit im vorpommerschen Lubmin: Lässt Russland tatsächlich Gas in nennenswerter Menge bei der deutschen Anlandestation der Pipeline Nord Stream 1 ankommen - oder verschärft Moskau die Energiekrise weiter? Vorläufigen Zahlen der Betreibergesellschaft zufolge sind für Donnerstag in etwa so große Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline angekündigt wie vor deren Wartung - nämlich etwas weniger als 30 Millionen Kilowattstunden pro Stunde, also rund 700 Gigawattstunden pro Tag. Das geht aus vorläufigen Vorabinformationen hervor, die in der Nacht zum Donnerstag auf der Webseite der Nord Stream AG veröffentlicht wurden (Stand 4:00 Uhr).
Angekündigte Menge entspricht Niveau vor der Wartung
Die angekündigte Menge entspricht damit ungefähr dem Niveau vor Beginn der planmäßig am Donnerstag beendeten Routinewartung, als die Pipeline zu etwa 40 Prozent ausgelastet wurde. Die Angaben dazu können sich aber noch ändern.
Die Pipeline Nord Stream 1 - die wichtigste Gasleitung von Russland nach Deutschland - wurde 2011 in Betrieb genommen. Seit Juni hat Russlands staatlicher Energieriese Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland allerdings um mehr als die Hälfte reduziert. Begründet wurde dies mit einer fehlenden Turbine von Siemens Energy, was die Bundesregierung als vorgeschoben kritisierte. Später wurde die mehr als 1.200 Kilometer lange Pipeline zudem wegen alljährlicher Wartungsarbeiten völlig stillgelegt - planmäßig bis zu diesem Donnerstag.
Russlands Präsident
Gas fließt wieder - Menge weiterhin unklar
Nach der Wartung von Nord Stream 1 ist am Donnerstagmorgen die Gaslieferung durch die deutsch-russische Pipeline wieder angelaufen. Es fließe wieder Gas, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG der Deutschen Presse-Agentur. Wie viel Gas aber tatsächlich fließt, ist derzeit noch unklar. Bei den am Morgen vorliegenden Daten handelte es sich um vorläufige Ankündigungen, sogenannte Nominierungen. Die sind zwar wichtig für Netzbetreiber, um den Gastransport zu gewährleisten, können aber bis kurz vor den eigentlichen Lieferungen noch geändert, also renominiert werden. Das war laut dem Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, schon am Mittwoch der Fall, als andere Netzbetreiber Zahlen veröffentlicht hatten.
Müller schrieb am Mittwochabend auf Twitter, Gazprom habe renominiert und die angemeldete Menge auf 530 Gigawattstunden am ersten Tag gesenkt, was einer etwa 30-prozentigen Auslastung entspreche. Zuvor waren nach seinen Worten 800 Gigawattstunden in Aussicht gestellt worden.
Die tatsächliche Liefermenge wird sich höchstwahrscheinlich auf die Gaspreise und damit auch auf den Geldbeutel von Privatkunden auswirken. Weitere Drosselungen oder gar ein Lieferstopp würden die Gasknappheit auch mit Blick auf die kalte Jahreszeit verschärfen und das Auffüllen der Gasspeicher erschweren. Es gab Befürchtungen, Moskau könne den Gashahn auch nach der Wartung komplett zulassen und so die Energiekrise weiter verschärfen. Nach dem Angriff auf die Ukraine hatte der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt und das überfallene Nachbarland mit Waffenlieferungen unterstützt. Russland wiederum drehte europäischen Ländern den Gashahn ganz oder teilweise zu.
Anteil an russischen Gaslieferungen sinkt von 55 auf 26 Prozent
Laut einem vom Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch vorgelegten Bericht ist der Anteil der russischen Gaslieferungen, der früher im Mittel bei 55 Prozent lag, bis Ende Juni 2022 auf 26 Prozent gesunken. Das liege am Unternehmen Gazprom, das im Juni die Gasflüsse über die Pipeline Nord Stream 1 unter dem "Vorwand von technischen Fragen" auf 40 Prozent reduziert habe. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die von Moskau angeführten technischen Gründe als vorgeschoben kritisiert.
Gazprom hatte die Lieferungen über Nord Stream 1 deutlich gedrosselt und dies mit dem Fehlen der Turbine begründet. Diese war für Reparaturarbeiten nach Kanada geschickt und wegen Sanktionen lange zurückgehalten worden. Zuletzt entschied Kanada dann aber auf Bitten Berlins, die Turbine doch an Deutschland zu übergeben. Unter Verweis auf die noch immer nicht erfolgte Rückgabe der Turbine warnte Putin zuletzt vor weiteren Drosselungen Ende Juli und einer drastisch reduzierten Durchlasskapazität. © dpa