- Die seit Wochen umkämpfte Hafenstadt Mariupol ist wohl gefallen.
- Russland erklärt sie für erobert, doch der ukrainische Präsident sieht das anders.
- Kremlchef Putin äußerte sich erstmals auch zum eingekesselten Stahlwerk, der letzten Bastion.
Bequem im Sessel angelehnt lässt sich Kremlchef
Seit dem 24. Februar, als Putin zum Angriff auf die Ukraine blies, warten viele seiner Unterstützer auf etwas, das wie ein Teilsieg aussehen könnte – vor allem nach dem weltweit beachteten Untergang des russischen Kriegsschiffs "Moskwa".
Dass der Kreuzer vor einer Woche wohl von zwei ukrainischen Raketen versenkt wurde, kratzt noch immer schwer am Stolz der Nation. Nun, eine Woche später, sieht Putin etwas verkrampft aus, als er von der "Befreiung Mariupols" spricht.
Die Nachricht soll auch den Kampfgeist der Truppe beflügeln. Die Führung in Moskau hatte seit langem beklagt, dass gerade Mariupol das Zentrum nationalistischer ukrainischer Gruppierungen und eine damit eine große Gefahr für Russland sei.
Putin will Menschen in Mariupol für Verhandlungen nutzen
Diese Bedrohung sieht Putin nun gebannt - und zeigt sich als Oberbefehlshaber erstmals seit Kriegsbeginn demonstrativ großzügig. Der 69-Jährige gibt den im Stahlwerk eingekesselten ukrainischen Kämpfern noch eine Chance. Sie sollten die Waffen strecken – und sich in russische Gefangenschaft begeben.
"Die russische Seite garantiert Ihnen das Leben", betont Putin. Für die Ukraine dürfte dies auch ein Angebot sein, in Verhandlungen zu treten mit Russland um die Freilassung der in der Heimat gefeierten "Helden von Mariupol".
2.500 Kämpfer sollen noch in den für einen Atomkrieg gebauten Katakomben des Stahlwerks ausharren. Die ukrainische Regierung in Kiew spricht zudem von 1.000 Zivilisten, unter ihnen Frauen und Kinder - und von 500 verwundeten Soldaten, die dringend medizinische Hilfe bräuchten.
Unklar blieb allerdings, wie die Menschen dort rauskommen sollen. Einfach gehen lassen will Putin die Kämpfer nicht. Er untersagte zwar dem Verteidigungsminister, das Werk zu erstürmen.
Er ordnete aber zugleich an: "Blockiert diese Industriezone so, dass nicht einmal eine Fliege rauskommt". Die Eingeschlossenen gelten in den Gesprächen mit Kiew als wichtige Verhandlungsmasse.
Selenskyj: "Voruns liegen entscheidende Tage"
Der ukrainische Präsident
"Es gibt einen militärischen Weg, auf den man sich vorbereiten muss, und wir bereiten uns vor", sagte Selenskyj. Dazu brauche es die Hilfe westlicher Partner. "Für uns selbst ist es schwierig, wir brauchen entsprechende Waffen, doch denken wir darüber nach", meinte er. Ein anderer Weg sei ein diplomatischer, humanitärer.
Kiew habe Moskau bereits mehrere Varianten vorgeschlagen, darunter einen Austausch von "Verwundeten gegen Verwundete". "Dort gibt es über 400 Verwundete in dieser Zitadelle. Das sind nur die Soldaten." Es gebe ebenfalls verletzte Zivilisten. "Vor uns liegen entscheidende Tage, die entscheidende Schlacht um unseren Staat, um unser Land, um den ukrainischen Donbass", betonte Selenskyj.
Noch immer gut 100.000 Menschen in Mariupol
In der Ukraine - und vor allem bei den aus Mariupol geflüchteten Menschen - machte sich indes Entsetzen breit. Von den einst 440.000 Einwohnern sollen in der Stadt am Asowschen Meer noch rund 100.000 Menschen ausharren, unter den Bedingungen einer humanitären Katastrophe.
Mariupol sei weitgehend zerstört, es gebe Zehntausende Tote . Und Putin spreche einmal mehr von "Heldentaten" der russischen Armee, hieß es in Kommentaren in sozialen Netzwerken. Tatsächlich wies Putin auch an, die "Helden" auszuzeichnen.
Separatisten feiern Eroberung von Mariupol
Mariupol hatte vor allem für das von Neonazis und Nationalisten gegründete und bis heute von ihnen dominierte Nationalgarde-Regiment "Asow" eine große symbolische Bedeutung.
Dem Gründungsmythos der Einheit nach befreite die Anfang Mai 2014 von Freiwilligen gegründete Einheit knapp einen Monat später die damals von prorussischen Separatisten kontrollierte Hafenstadt. Die Separatisten feierten nun ihren späten, mit russischer Hilfe errungenen Sieg.
Sollten die von Russland anerkannten Separatisten-Republiken Luhansk und Donzek formal eigenständig bleiben, dann haben sie mit Mariupol ungestörten Zugang auch zu den Weltmeeren.
Sie könnten über den gut ausgebauten größten Hafen am Asowschen Meer ihre Produkte unabhängig von russischen Landrouten auf dem kostengünstigen Wasserweg selbst exportieren. Auf das noch von ukrainischen Kämpfern besetzte und weitgehend zerstörte Stahlwerk Azovstal sind sie aber nach eigenen Angaben für die Zukunft nicht mehr angewiesen. © dpa