Thailand bekommt vorerst keinen neuen Regierungschef. Der einzige Kandidat Pita Limjaroenrat konnte nicht genug Stimmen auf sich vereinen, weil die Vorgängerregierung das Wahlgesetz zu ihren Gunsten geändert hatte.

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Bei der Wahl des neuen Ministerpräsidenten in Thailand hat der pro-demokratische Spitzenkandidat Pita Limjaroenrat die einfache Mehrheit im Parlament klar verpasst. Der 42-Jährige von der progressiven Oppositionspartei Move Forward Party bekam 324 von insgesamt 749 Stimmen. Für eine einfache Mehrheit wären 375 Stimmen nötig gewesen. Normalerweise hat das Parlament im Königreich 750 Sitze, ein Senator war jedoch kurz vor dem Votum zurückgetreten.

Verfassungsänderung der abgewählten Militärregierung in Thailand verhindert Wahl des neuen Regierungschefs

Pita war der einzige Kandidat. Seine Partei hatte die Parlamentswahl Mitte Mai deutlich gewonnen. Im Abgeordnetenhaus verfügt er damit über eine deutliche Mehrheit – wegen einer besonderen Verfassungsklausel reichten diese Stimmen aber nicht aus.

Das mächtige Militär, das bis jetzt an der Macht war, hat die Verfassung nach dem Putsch von 2014 zu seinen Gunsten geändert. Nicht mit der Armee verbundene Kandidaten haben es seither schwer, ins Amt zu kommen: Neben den 500 neu gewählten Abgeordneten bestimmen nämlich auch 250 nicht gewählte, vom Militär ernannte Senatoren den Ministerpräsidenten. Es war bis zuletzt unklar, wie viele Senatoren dem Harvard-Absolventen ihre Stimme geben würden.

Anhänger von Pita Limjaroenrat
Anhänger Pita Limjaroenrats fordern nach der verlorenen Wahl, dass ihre Stimme respektiert werden soll. © IMAGO/ZUMA Wire/Chaiwat Subprasom

Der Abstimmung vorausgegangen war eine sechsstündige Debatte, in deren Zentrum vor allem das Vorhaben der Move Forward Party stand, das kontroverse Lèse-Majesté-Gesetz zu ändern: Das beliebte Urlaubsland bestraft Majestätsbeleidigung so hart wie kaum ein anderes Land der Welt. Das Gesetz sieht lange Haftstrafen vor, immer wieder kommt es zu Festnahmen auch sehr junger Thais. Dagegen gibt es in der Bevölkerung schon lange Proteste. Viele konservative Politiker wollen aber an dem Gesetz festhalten – und verweigerten Pita deshalb ihre Stimme.

Im Zuge der Debatte versuchte Pita ein weiteres Mal, möglichst viele Abgeordnete von sich zu überzeugen. "Dies ist keine Stimme für mich oder für den Ministerpräsidenten Thailands, sondern eine historische Chance, in Thailand zur Normalität zurückzukehren", sagte er. Der Move-Forward-Generalsekretär, Chaithawat Tulathon, sagte: "Millionen von Wählern fragen sich: Wenn wir nicht den Regierungschef und die Regierung bekommen, für die eine Mehrheit gestimmt hat – wofür halten wir dann überhaupt Wahlen ab?"

"Ich gebe nicht auf", sagte Pita direkt nach der Auszählung der Stimmen vor Journalisten. Er wolle sich nun strategisch auf eine zweite Abstimmungsrunde im Parlament vorbereiten. Nach dem thailändischen Gesetz muss das Parlament so lange abstimmen, bis ein Kandidat eine Mehrheit erhält.

Erneute Wahlen kommende Woche

Am nächsten Mittwoch und möglicherweise auch am Donnerstag soll erneut abgestimmt werden. Dabei könnte Medien zufolge auch ein anderer Kandidat als Pita nominiert werden – oder aber Pita wird erneut aufgestellt. Dann müsste er Beobachtern zufolge allerdings seinen Gegnern Zugeständnisse machen, etwa beim Thema Lèse Majesté. Keine andere Partei hat bislang einen Gegenkandidaten ins Rennen geschickt.

Die Stimmung in Bangkok vor der entscheidenden Abstimmung war angespannt. Das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt wurde mit Stacheldraht abgesperrt, eigens aufgestellte Container sollten Demonstranten fernhalten. "Wir haben das Recht, unsere Meinung zu äußern, wir sind ja schließlich ein demokratisches Land", sagte der 17-jährige MFP-Unterstützer Patchaya Saelim vor dem Parlament. "Wir können uns auch zu Protesten versammeln."

Pitas Move Forward Partei ist besonders bei jungen Leuten und Teilnehmern der pro-demokratischen Proteste beliebt, die in Bangkok bereits 2020 einsetzten. Er konnte aber bei der Wahl quer durch alle Lager punkten. Der 42-Jährige schmiedete im Anschluss eine Koalition mit der zweitplatzierten Pheu Thai unter ihrer Chefin Paetongtarn Shinawatra, der Tochter des langjährigen Regierungschefs Thaksin Shinawatra, und sechs kleineren Parteien.

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Pita Limjaroenrats Wahl wäre beinahe verhindert worden

Erst am Mittwoch war bekannt geworden, dass Pita seine Parlamentsmitgliedschaft verlieren könnte. Die Wahlkommission gab formal der Bitte statt, beim Verfassungsgericht seine sofortige Suspendierung anzufragen. Hintergrund sind Ermittlungen über angebliche Aktienanteile an einem Medienunternehmen, die er während seiner Kandidatur besessen haben soll – was in Thailand Teilnehmern an einer Wahl verboten ist.

Pita könnte aber trotzdem zum Regierungschef gewählt werden. Die "Bangkok Post" zitierte ihn mit den Worten: "Das betreffende Medienunternehmen ist schon seit Ewigkeiten geschlossen, und ich hielt die Anteile nur als Testamentsvollstrecker des Nachlasses meines Vaters."

Die Vorgängerpartei der MFP – die Partei Future Forward (FPP) – war nach der Parlamentswahl 2019 durch ähnliche juristische Probleme kaltgestellt worden. Damals disqualifizierte das Verfassungsgericht den aussichtsreichen Kandidaten Thanathorn Juangroongruangkit, der überraschend den dritten Platz bei den Wahlen belegte und ordnete anschließend die Auflösung der FFP an – die Entscheidung trieb Zehntausende junge Demonstranten auf die Straße. (afp/dpa/the)

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