• Die Probleme sind nicht weniger geworden, während der Kanzler im Allgäu wandern war.
  • Es könnte ein heißer Herbst drohen. Ein weiteres Thema betrifft Scholz persönlich.
  • Und die Zeit der grinsenden Koalitionspartner-Selfies ist längst vorbei.

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Die Ampel-Koalition hat zermürbende Monate hinter sich. Von so manchem Grundsatz mussten sich SPD, Grüne und FDP wegen des Ukraine-Krieges schmerzhaft verabschieden. Auch der Kanzler schien zwischenzeitlich wie getrieben. Eine richtige Auszeit hat sich Olaf Scholz auch in der Sommerpause nicht gegönnt: Fotos zeigen ihn beim Wandern mit Handy am Ohr.

Frisch zurück ist der 64-Jährige am Donnerstag zum ersten Mal als Kanzler in der Bundespressekonferenz in Berlin. Er stellt sich den Fragen der Hauptstadtjournalistinnen und -journalisten, bringt viel Zeit mit, fast zwei Stunden. Und er antwortet für Scholz-Verhältnisse ungewohnt direkt - auf beinahe alle Themen. Aber dazu später mehr.

Staatliche Hilfe entpuppt sich als Streitthema der Ampel

Die Legislaturperiode von Scholz' Ampel-Regierung ist zu fast einem Viertel vorbei - und ganz anders gelaufen, als die Koalitionspartner das erwartet hatten, als sie im Spätherbst den Vertrag über ihre Zusammenarbeit zimmerten. Die Regierung wird getrieben von den Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine. In Deutschland spüren die Menschen das im Geldbeutel, die Inflation ist nach oben gejagt, viele haben Angst, dass sie im Winter das Heizen nicht bezahlen können.

Mehr und mehr zeigt sich das auch, wenn Scholz und seine Minister öffentlich auftreten. Der grüne Vizekanzler Robert Habeck, in Umfragen beliebtestes Kabinettsmitglied, wird ausgebuht. Wohlfahrtsverbände warnen vor sozialen Unruhen. Ob er auch mit so was rechnet, wenn die Bürger die Energiekrise im Herbst richtig zu spüren bekommen? Scholz antwortet energisch: "Nein, ich glaube nicht, dass es in diesem Land zu Unruhen in dieser skizzierten Form kommen wird. Und zwar deshalb, weil Deutschland ein Sozialstaat ist." Weil im September weitere Entlastungen auf den Konten ankämen. Weil man die Menschen nicht alleinlassen werde, beteuert Scholz. Was genau die Bürger erwarten können, das sagt er jedoch nicht.

Das kann der Kanzler wohl auch noch nicht sagen, denn staatliche Hilfen, das ist eines der Themen, bei denen die Gräben in seiner Koalition offen zutage treten.

Heftige Kritik an Lindners Reform

Finanzminister Christian Lindner hat eine Steuerreform vorgeschlagen, von der 48 Millionen Bürger profitieren würden. Viele bei SPD und Grünen haben Probleme damit, denn in Euro und Cent käme bei Geringverdienern am wenigsten an.

Scholz macht klar: Lindners Reform könne nur Teil eines Pakets sein, zusätzlich müssten Hilfen für Menschen mit weniger Geld kommen. Nicht nur für Sozialleistungsempfänger, sondern für die, "die jeden Tag berufstätig sind und manchmal sehr wenig Geld oder nur normal viel Geld verdienen". Scholz nennt Bruttoeinkommen von 2800 oder 3200 Euro. Es sei ziemlich klar, dass diese Menschen keine Rücklagen hätten und sich gerade Gedanken machten, "wie sie da durchkommen".

Immer häufiger wird deutlich, wie unterschiedlich die Parteien doch ticken, die sich zu Deutschlands Regierung zusammengefunden haben. Stichwort längere Laufzeit für Atomkraftwerke, Stichwort Besteuerung von Krisen-Profiteuren, Stichwort Regelsätze in der Grundsicherung, Corona-Schutz, 9-Euro-Ticket, Dienstwagenbesteuerung.

Trotz Differenzen möchte Scholz an der Ampel festhalten

Der Finanzminister hat gerade der "Zeit" erzählt, wie sein Kollege Habeck ihm immer mal wieder eine neue Subvention auf den Tisch knalle und meine, Lindner werde "schon irgendwie einen Haushalt zusammenfummeln". SPD-Chef Lars Klingbeil beklagt in einem Interview bei RTL und ntv, da sei "manchmal zu viel Gegeneinander und zu wenig Miteinander" in der Koalition. Klingt alles nicht nach feiner englischer Art.

"Wir sind unterschiedliche Parteien und haben nicht durch den Koalitionsvertrag uns zu einem Vereinigungs-Parteitag versammelt", räumt Scholz ein. Und trotzdem: Nach vier Jahren Regierungszeit soll bei der nächsten Bundestagswahl noch lange nicht Schluss sein mit der Ampel, wie er sagt.

Dafür müssen SPD, Grüne und FDP aber nicht nur einen möglicherweise heißen Herbst überstehen. Für Scholz persönlich könnte ein anderes Thema zum Problem werden - und bei dem wird der Kanzler dünnhäutig, fast pampig.

Und dann wäre da noch der Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre

In der kommenden Woche muss Scholz zum zweiten Mal in einem Hamburger Untersuchungsausschuss aussagen, der aufdecken will, ob Politiker Einfluss auf Steuerentscheidungen nahmen. Es geht um Scholz' Zeit als Erster Bürgermeister der Hansestadt und um Gespräche mit einem Banker, an deren Inhalt sich der Kanzler nach eigenen Angaben nicht erinnert. Politische Einflussnahme weist Scholz aber deutlich zurück.

Als ein Journalist am Donnerstag behauptete, die Banker hätten nach dem Treffen mit ihm "geklautes" Geld behalten dürfen, widerspricht Scholz energisch: "Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können, wenn Sie es müssten", warnt er. "Bedenken Sie das, wenn Sie sowas sagen." Weitere Fragen bügelt er ab, mit der bekannten Taktik, bereits gegebene Antworten einsilbig zu wiederholen.

Scholz: "Ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler"

Andere Probleme dieser Zeit geraten vor dem Hintergrund solcher Fragen fast in Vergessenheit. Was ist mit Corona? In einer einzigen Frage sprechen die Journalisten die Pandemie an. Auch die Debatte über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine hat an Schärfe und Lautstärke verloren. Doch sie ist schon allein deshalb nicht beendet, weil die Wünsche in Kiew nach wie vor groß sind.

Die Herausforderungen der Scholz-Regierung werden kaum weniger - und die Selfie-Zeiten grinsender Koalitionspartner sind auch längst vorbei. Das könnte frustrieren. Doch eintauschen möchte der 64-Jährige seine Aufgabe trotzdem nicht, auch nicht mit Vorgängerin Angela Merkel. "Ich telefoniere gern mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler", sagt Scholz - und provoziert am Ende der insgesamt sehr nüchternen Pressekonferenz doch noch einen Lacher. (Theresa Münch, dpa, sbi)

Teaserbild: © picture alliance/dpa/Kay Nietfeld