Am Samstag hatten noch bekannte Lokalgrößen wie die Beatsteaks oder Element of Crime am Brandenburger Tor für gute Stimmung gesorgt. Doch am Ende stand fest: Es gab nicht genügend Ja-Stimmen für den Berliner Volksentscheid "Berlin 2030 Klimaneutral". Luise Neubauer ist verwundert, warum es so viele Nein-Stimmen gab.
Der Volksentscheid für ehrgeizigere Klimaziele in Berlin ist gescheitert. Die nötige Mindestzahl von Ja-Stimmen sei nicht mehr zu erreichen, teilte die Landeswahlleitung am Abend kurz vor Abschluss der Auszählung mit. Nötig waren rund 608.000 Ja-Stimmen.
Laut Wahlleitung stimmte mit rund 442.000 Wählern eine knappe Mehrheit dafür (rund 51 Prozent). Etwa 423.000 Wähler votierten dagegen. Damit wurde jedoch nur eine Voraussetzung für einen erfolgreichen Volksentscheid erfüllt. Die zweite Voraussetzung, eine Zustimmungsquote (Quorum) von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten, wurde verfehlt. Das wären etwa 608 000 Ja-Stimmen gewesen. Die Beteiligung am Volksentscheid betrug laut Wahlleitung um die 30 Prozent.
Initiiert hatte das Bündnis "Klimaneustart" die Abstimmung mit einer viermonatigen Unterschriftensammlung im Vorjahr. Im Falle eines Erfolgs wäre das geänderte Gesetz beschlossen gewesen und in Kraft getreten. Dass sich die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen am Ende etwa die Waage hielt, kam für viele überraschend. Vor dem Volksentscheid hatten eigentlich nur Befürworter in der Stadt stark mobilisiert und für ihr Anliegen geworben. Eine Gegenkampagne gab es nicht.
Das Bündnis "Klimaneustart" wollte erreichen, dass Berlin sich verpflichtet, bis 2030 und nicht wie bislang vorgesehen bis 2045 klimaneutral zu werden. Dafür sollte das Energiewendegesetz des Landes geändert werden.
Große Enttäuschung nach gescheitertem Berlin-Volksentscheid
Die Initiatoren der Abstimmung äußerten sich enttäuscht über den Ausgang. "Es ist nicht nur ein Projekt einer Initiative gescheitert, sondern das betrifft alle Menschen in Berlin. Es ist schade für alle Menschen in Berlin", sagte Jessamine Davis von "Klimaneustart". "Wir haben eine Mehrheit, das ist immerhin richtig cool. Es sind sehr viele Leute in Berlin, die zeigen, dass die Politik nicht schnell genug handelt."
Berlins Regierende Bürgermeister
Luisa Neubauer gibt sich kämpferisch
Klimaaktivistin
Das Ergebnis sei keine Niederlage für die Klimabewegung, sondern eine Niederlage für alle Einwohnerinnen und Einwohner Berlins. "Das ist erstmal eine richtige Zäsur für alle, die auf Lebensgrundlagen angewiesen sind", betonte Neubauer. Dennoch müsse diskutiert werden, weshalb zahlreiche Menschen auch gegen den Volksentscheid stimmten. "Wir müssen nicht drum herumreden, ich finde es auch hart, sich zu überlegen, was passiert mit den Menschen, die heute Nein gestimmt haben. Wir kämpfen auch weiter für die Menschen, die heute mit Nein gestimmt haben."
SPD und CDU sehen Klimaschutz als wichtiges Thema
Auch die CDU, die die Berliner Wiederholungswahl am 12. Februar gewonnen hatte und mit der SPD momentan Koalitionsverhandlungen führt, sieht den Klimaschutz als eines der wichtigsten Themen. «Berlin sagt Ja zum Klimaschutz - aber Nein zu falschen Versprechen», sagte Generalsekretär Stefan Evers. Wichtig sei nun entschlossenes Handeln, um Klimaziele schnellstmöglich zu erreichen.
Klimaneutralität bedeutet, dass keine Treibhausgase emittiert werden, die über jene hinausgehen, die zum Beispiel durch die Natur aufgenommen werden. Dafür müssten die klimaschädlichen Emissionen etwa von Verbrennerautos, Flugzeugen, Heizungen, Kraftwerken oder Industriebetrieben um etwa 95 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 soweit sein.
Beatsteaks und Element of Crime am Brandenburger Tor
Unterstützer des Volksentscheids versammelten sich am Samstag vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu einer Kundgebung mit verschiedenen Konzerteinlagen. Das musikalische Programm reichte von der deutschen Band Element of Crime über die Musikerin Annett Louisan, der Alternative-Rock-Band Beatsteaks bis hin zu Pianist Igor Levit.
Initiative überlässt Politik die Umsetzung
Die Antwort auf die Frage, wie genau das bis 2030 in Berlin erreicht werden sollte, wollte die Initiative bewusst der Politik überlassen. Die wichtigsten Stellschrauben waren bekannt: energetische Sanierung von Gebäuden, fossilfreie Energie- und Wärmeerzeugung, Ausbau des ÖPNV und emissionsfreie Autos vor allem mit E-Antrieb. Nötig wären dafür allein in Berlin Investitionen in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe - unabhängig vom Jahresziel der Klimaneutralität.
Zum Vergleich: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die EU will bis 2050 soweit sein. Entsprechend viel Skepsis herrschte bei der Frage vor, ob Berlin das bereits bis 2030 schaffen könnte. Die Initiatoren des Volksentscheids und ihre Unterstützer bei Umweltorganisationen, dem Mieterverein, Initiativen und in der Kulturszene, aber zuletzt auch bei Grünen und Linken bejahten das.
Rot-rot-grüne Berliner Senat sieht Pläne für 2030 als "unrealistisch"
Der nach der Wiederholungswahl noch amtierende rot-grün-rote Berliner Senat stufte das in einer Stellungnahme indes als unrealistisch ein. Berlin habe bereits eines der ehrgeizigsten Klimaschutzgesetze Deutschlands und gehöre etwa mit dem 2017 vollzogenen Ausstieg aus der Braunkohle zu den "klimapolitischen Vorreitern". Von den Bundes- und EU-Zielen beim Klimaschutz könne sich Berlin aber nicht so weit entkoppeln, dass es im Alleingang 15 oder 20 Jahre früher klimaneutral werde.
Auch die Industrie- und Handelskammer erklärte, Klimaneutralität in Berlin sei angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen "nicht realistisch umsetzbar". Ähnlich sehen das auch diverse Klima- und Umweltwissenschaftler.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz ist eher skeptisch
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sah die Ziele der Initiatoren des Volksentscheids ebenso eher skeptisch. "Ich bin fest davon überzeugt, dass das, was die Bundesregierung sich vorgenommen hat, genau der richtige Weg ist, nämlich dafür zu sorgen, dass wir unser Land technologisch modernisieren", sagte Scholz am Samstag. "Da helfen fiktive Daten, die man nicht einhalten kann, nichts. (...) Das geht nur, indem man tatsächlich dafür Sorge trägt, dass die richtigen Entscheidungen getroffen werden, sodass wir 2045 klimaneutral wirtschaften können und trotzdem ein wirtschaftlich starkes Land sind."
Berlin hätte mit den strengeren Klimazielen nicht allein dagestanden. Nach Angaben des Vereins German Zero visieren in Deutschland etwa 70 Städte das Ziel an, bis spätestens 2035 klimaneutral zu werden. Auf europäischer Ebene unterstützt die EU-Kommission 100 Kommunen, die bis 2030 an der "EU-Mission für klimaneutrale und intelligente Städte" teilnehmen.
Volksabstimmung "Klimaneutral 2030" mitten in Koalitionsverhandlungen
Die Abstimmung fand gerade mal sechs Wochen nach der Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl statt - mitten in die Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD. Beide Parteien wollen eine schwarz-rote Landesregierung bilden und kündigten bereits an, in den kommenden Jahren mindestens fünf Milliarden Euro für mehr Klimaschutz in der Stadt ausgeben zu wollen.
In Berlin gab es laut Wahlleitung bisher sieben Volksentscheide, denen nicht immer wie am Sonntag ein konkreter Gesetzentwurf zugrunde lag. Die letzten Abstimmungen 2021 über die Enteignung großer Wohnungskonzerne (ohne Gesetzentwurf), 2017 zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel (ohne Gesetzentwurf) und 2014 zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (mit Gesetzentwurf) waren erfolgreich. Tegel wurde dennoch geschlossen. (dpa/cgo)

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