Nach einem Wahlkrimi ist Kai Wegner (CDU) neuer Regierender Bürgermeister von Berlin. Im dritten Wahlgang reichte eine einfache Mehrheit mit 86 Stimmen am Donnerstagmittag. Das passt zur politischen Karriere des Stehaufmännchens.

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In den vorherigen Wahlgängen kam es nicht zur benötigten Mehrheit von 80 Stimmen. Im zweiten Durchgang machte Wegner nur einer der Abgeordneten einen Strich durch die Rechnung - es fehlte nur eine Stimme.

Während sich in der Pause CDU- und SPD-Anhänger gegenseitig die Schuld zuschoben, sprach der Grünen-Fraktionschef Werner Graf von einem "desaströsen Start" für die vorgesehene schwarz-rote Regierung. Es zeige die Zerrissenheit der SPD-Fraktion, sagte Graf am Donnerstag der Berliner Morgenpost. "Es ist schlecht für Berlin, weil es keine stabile Mehrheit gibt in den nächsten dreieinhalb Jahren."

Da die Jusos von Anfang an gegen die schwarz-rote Koalition waren und der SPD-Mitgliederentscheid mit einem hauchdünnen Vorsprung für den Koalitionsvertrag ausging, dürften einige der Sozialdemokraten ihrer Landesparteichefin und bisherigen Bürgermeisterin Franziska Giffey einen Denkzettel verpasst haben. Bei der CDU galten die Reihen als geschlossen.

Nach fünf Stunden Wahlkrimi ist Wegner erleichtert

Nach einer Beratung des Ältestenrats wurde Wegner nach einem fünfstündigen Wahlkrimi doch noch zum Regierungschef der Hauptstadt gewählt. Die Abweichler in den Parteien waren auf Kurs gebracht worden. Der neue Bürgermeister schien erleichtert. Die vorherige Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen.

Schließlich ging es um seine politische Zukunft – und den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Bis dahin musste er einiges einstecken, stand immer wieder auf und machte weiter. Der Wahlkrimi steht symptomatisch für seine Laufbahn – kein Sprint ins Ziel, sondern ein Marathon. Ein Stehaufmännchen, das immer weiter macht.

Kai Wegner (CDU) leistet seinen Amtseid als Berlins Regierender Bürgermeister.
Kai Wegner (CDU) ist Berlins neuer Regierender Bürgermeister. Nach einem Wahlkrimi leistet er im Berliner Abgeordnetenhaus seinen Amtseid. © picture alliance/dpa/Christophe Gateau

Wegner ist der erste Christdemokrat in diesem Amt, seit SPD, Linke und Grüne vor 22 Jahren Eberhard Diepgen nach dem Bankenskandal abwählten. Für die über Jahrzehnte von der SPD dominierte Hauptstadt bedeutet das eine politische Wende, die der lange nicht richtig ernst genommene Wegner über Jahre aktiv vorbereitet hatte.

Wer ist der Berliner Lokalpatriot Kai Wegner?

Es hatten ihm nur wenige zugetraut, als der mittelgroße Mann mit Glatze Ende November vergangenen Jahres auf dem Landesparteitag der Berliner CDU ankündigte: "Ich will Regierender Bürgermeister werden." Mutige Worte. Denn die CDU lag in den Umfragen mit 20 Prozent hinter den Grünen und gleichauf mit der SPD. Koalitionspartner waren nicht in Sicht.

Fast ein halbes Jahr später hat Wegner eine neue Koalition ausgehandelt, den Koalitionsvertrag unterschrieben – und macht seine Ankündigung wahr. Wer ist der 50-Jährige, der ein echter Lokalpatriot ist, die Schule abgebrochen hat und kein Abitur hat?

Ganz im Westen von Berlin ist Wegner in Spandau geboren, aufgewachsen und lebt heute noch dort. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Der Versicherungskaufmann und spätere Unternehmensberater gilt als gut vernetzt in der Hauptstadt und duzt sich etwa auch mit führenden Grünen-Politikern wie dem Fraktionsvorsitzenden Graf. Mit ihm teilt er auch die Vorliebe für den Fußballklub Hertha BSC.

Es gab immer wieder Durststrecken

In der Politik hat der 50-Jährige einen geradlinigen Politik-Aufstieg hinter sich: Mit 17 Jahren trat Wegner in die CDU ein, wurde Abgeordneter im Bezirk Spandau, saß dann für die Partei im Landesparlament und wurde 2005 Mitglied des Bundestags. Sein Mandat hatte er bis zur Bundestagswahl 2021 inne, die gleichzeitig mit der ersten Abgeordnetenhaus-Wahl stattfand, für die Wegner als Spitzenkandidat nominiert wurde.

Doch es gab immer wieder Durstrecken beim Dauerlauf Wegners. 2000 wurde er Landesvorsitzender der Jungen Union. Drei Jahre später scheiterte sein erster Versuch, Generalsekretär der Landespartei zu werden. In dieses Amt kam er erst acht Jahre später. Nachdem die Berlin-Wahl 2016 für die CDU enttäuschend verlief und Parteichef Frank Henkel zurücktrat, wurde Wegner von der neuen Vorsitzenden Monika Grütters abgesetzt.

Sein Start in die Berliner Landespolitik hatte dann etwas von einem Putsch. Im Mai 2019 drängte der damalige Bundestagsabgeordnete Grütters aus dem Amt und ließ sich als ihr Nachfolger wählen. Wegner war nun auf Bürgermeister-Kurs. Zunächst aber noch verkannt.

Viele kannten noch nicht mal den Namen

Denn selbst in der CDU gab es einige, die sich ihn kaum als Berliner Regierungschef vorstellen konnten. Viele kannten noch nicht einmal seinen Namen. Der frühere Fraktionschef Klaus Landowsky sagte laut "Frankfurter Rundschau" über ihn: "Kai Wegner ist für dieses Amt zu klein."

Unter Wegners internen Kritikern war auch Mario Czaja, damals Abgeordneter und Ex-Senator in der Berliner Landespolitik, inzwischen Generalsekretär der Bundes-CDU. Vor zwei Jahren griff Czaja Wegner scharf an. Im "Tagesspiegel" sagte er: "Kai Wegner ist aus meiner Sicht dichter an den Positionen von Hans-Georg Maaßen als an denen von Angela Merkel und denen unseres Bundesvorsitzenden Armin Laschet."

Tatsächlich hat Wegner in der Vergangenheit Unterstützung für Maaßen geäußert. So 2019, als der vormalige CDU-Innensenator Henkel Maaßen zu einer Diskussionsrunde einlud. Ein solches Gespräch würde einen Beitrag "zu einer lebendigen Volkspartei" leisten, zu der "auch kontroverse Köpfe und Diskussionen" gehörten, sagte Wegner damals. Doch der Rechtskurs der Berliner CDU verschreckte die Berliner Wähler nicht allzu sehr.

Schon früh galt Kai Wegner als rechtskonservativ

Bereits als JU-Landesvorsitzender galt Wegner als rechtskonservativ. In der "Leitkultur-Debatte" der Union um die Jahrtausendwende lehnte er eine multikulturelle Gesellschaft ab. In einer Parteitagsrede forderte er im Jahr 2000, so schreibt die FR, dass die Jungen "endlich ein gesundes Verhältnis zur Nation entwickeln" müssten. Wenig später soll Wegner einen Auftritt des rechtspopulistischen Politikers aus Österreich, Jörg Haider, in Berlin besucht und an einer Demonstration zur Unterstützung des damaligen US-Präsidenten Bush teilgenommen haben.

Im aktuellen Wahlkampf polarisierte die Berliner Landes-CDU, als sie nach den Silvester-Ausschreitungen die Vornamen von Tatverdächtigen mit deutscher Staatsangehörigkeit erfragte. Wegner verteidigte das Anfang Januar so: "Wir müssen die Namen wissen, damit wir passgenaue Antworten geben und die Jugendlichen erreichen können." Wenig später ruderte er ein wenig zurück – "Mehmet" gehöre genauso zu Berlin wie "Michael".

Seine rechts-konservative Haltung konnte er damit nicht verbergen. Erst als klar wurde, dass das Amt des Regierenden Bürgermeisters in greifbarer Nähe zu sein schien, wurde er zahmer und strebte in die Mitte.

"Neustart" für Berlin und "Vertrauen"

Einen "Neustart" für Berlin und verloren gegangenes "Vertrauen" wieder zurückgewinnen – das wiederholte Wegner im Wahlkampf immer wieder. Rot-Grün-Rot sollte endlich beendet werden. Tatsächlich lag die CDU in Umfragen vor dem Wahltermin lange vorn, zum Teil mit deutlichem Vorsprung. Inwieweit das ein Verdienst Wegners ist, ist umstritten. Seine persönlichen Bekanntheits- und Beliebtheitswerte haben sich im Vergleich zu 2021 verbessert, aber als Zugpferd der CDU gilt Wegner nicht. Der SPD-Co-Landesvorsitzende Raed Saleh verspottete Wegner im Wahlkampf wegen der schwierigen Koalitionsfrage deshalb als den "einsamen Kai".

Mit ihm verbindet man dank seiner flexiblen Haltung kein politisches Thema. Doch als guter Beobachter öffnete sich der Konservative, spricht nun über den Klimaschutz, den die Berliner CDU und SPD mit einem Milliarden-Sondervermögen voranbringen wollen.

Nun steht Wegner an der Spitze eines schwarz-roten Regierungsbündnisses, das nach der Wahl noch brüchiger als zuvor erscheint. Man kann es auch als Bewährungsprobe sehen: Für die Bundes-CDU hat Wegner die Chance zu zeigen, dass die Partei auch Großstadt kann. Dass er sich mit Parteichef Friedrich Merz nicht gut versteht und ihn mit Generalsekretär Mario Czaja wenig verbindet, muss kein Problem sein. Wegner kann sich durch die "Vernunftehe" mit den wankelmütigen Sozialdemokraten die nächsten dreieinhalb Jahre seine Führungsqualitäten beweisen. Der holprige Start passt zumindest zu ihm.

Ob sich Wegners Marathon lohnt, wird sich bei der nächsten Berliner Wahl zeigen.

Verwendete Quellen:

  • DPA
  • AFP
  • morgenpost.de: Live-Blog zur Berliner Bürgermeisterwahl
  • tagesspiegel.de: Maaßen-Streit erreicht Berliner CDU
  • fr.de: Zwischen „Leitkultur“ und Schwarz-Grün: Wie rechtskonservativ ist Kai Wegner wirklich?
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