- Nicht nur am Gedenktag des Kriegsausbruchs setzen Menschen vor der russischen Botschaft in Berlin Zeichen – manche tun es seit einem Jahr.
- Mahnen einige mit Kerzen, tut es ein Kollektiv mit einem zerstörten Panzer.
- Eine Ukrainerin berichtet, warum sie schon zum zweiten Mal vor Putin flüchten musste. Andere erinnern sich noch genau, was sie am Tag des Kriegsausbruchs gemacht haben.
Zelte, Panzer, zerstörte Häuser und Menschen, die sich umarmen. All das sieht man auf den Fotos der Mahnwache vor der russischen Botschaft in Berlin. Zum Jahrestag am 24. Februar haben viele Kerzen und Blumen dazugestellt.
Seit einem Jahr stehen hier täglich Annett und ihre 20 Mitstreiterinnen und Mitstreiter und passen abwechselnd auf. Eine private Initiative, in der Menschen von hier aus ein Zeichen setzen wollen - direkt vor der Nase des Aggressors.
"Wir verabreden uns spontan und stehen dann mal einige Stunden, mal acht oder manchmal gar nicht hier", berichtet sie. Denn neben diesem Ehrenamt gehen alle noch arbeiten.
Im Gefühlschaos macht sich Verzweiflung breit
An den Kriegsbeginn erinnert sich Annett noch ganz genau. "Ich habe gerade einen Krankenbesuch gemacht. Dann sahen wir die Bilder im Fernsehen. Schrecklich."
In ihrem Gefühlschaos mache sich immer mehr Verzweiflung breit, angesichts der Gräueltaten, die nach und nach ans Licht kommen. "Mit all dem können wir und die Menschen an diesen Ort kommen, um zu weinen oder Blumen und Kerzen abzulegen."
Eine ihrer Mitstreiterinnen ist die Ukrainerin Olena. Schon zweimal musste sie vor den russischen Soldaten fliehen. Bis 2014 wohnte sie auf der Krim. "Durch die Annexion haben wir alles verloren. Wir hatten dort ein Geschäft".
Erst Flucht von der Krim, dann aus Kiew
Bis März vergangenen Jahres wohnte die 43-Jährige mit ihrem Mann und den drei Kindern in Kiew. Dann musste sie mit ihren Kindern ein weiteres Mal die Flucht ergreifen. Seitdem lebt die Ukrainerin in Berlin.
"Mein Ehemann hilft den Menschen in unserer Stadt. Wir telefonieren jeden Tag", erzählt sie. In ihren 25 Jahren Beziehung haben sie sich eigentlich nie für längere Zeit trennen müssen. Jetzt sei es auf unbestimmte Zeit.
Durch die die Arbeit an der Mahnwache und organisierte Protestaktionen im Internet hält sie sich in Bewegung, will auch von hier aus aktiv etwas für ihr Land machen.
"Nur unseren Sieg", antwortet Olena auf die Frage, was sie sich für die Zukunft wünscht. Dann will sie auch sofort wieder nach Hause. Bis dahin dürfe es weder Verhandlungen mit dem "Verbrecher Putin" geben noch dürfe die Ukraine Gebiete abgeben.
Zerstörter Panzer als Mahnmal: Kanone zeigt auf Russlands Botschaft
Schon seit Freitagmorgen steht nahe der Mahnwache ein Mahnmal der besonderen Art: ein russischer Panzer. Er soll bei der Schlacht um Kiew am 31. März 2022 zerstört worden sein, wie ein Schild informiert.
Am Freitagmittag weiht es der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew zum Jahrestag des Kriegsbeginns ein. Das Panzerwrack vom Typ T-72 steht auf einem Anhänger, mit dem er aus der Ukraine nach Deutschland transportiert wurde. Es soll für einige Tage als Mahnmal gegen den Krieg dienen.
Das Wrack ist quer auf dem Mittelstreifen der großen Straße ausgerichtet, die Kanone zeigt auf die Botschaft.
Initiatoren streiten mit Bezirk um Genehmigung
Der Autor und Verleger Wieland Giebel, der die Aktion mit initiierte, nannte den Panzer ein "Symbol des Untergangs", so die dpa. Er habe gerufen: "Das Regime wird untergehen so wie das Dritte Reich untergegangen ist. (...) Hier in der Botschaft sitzen die Kriegsverbrecher. Deshalb stellen wir den Russen ihren Schrottpanzer vor die Tür."
Der Plan, den zerstörten Panzer in Berlin als Mahnmal aufzustellen, hat eine lange Vorgeschichte. Nachdem der Berliner Bezirk Mitte eine Genehmigung zunächst abgelehnt hatte, setzten die Initiatoren vom Museum Berlin Story Bunker ihr Projekt per Gericht durch.
Eigentlich sollte der Panzer länger dort stehen, aber das scheiterte letztlich an Vorgaben des Bezirks. Ab nächster Woche soll der Panzer laut den Initiatoren zunächst noch in den Niederlanden ausgestellt werden.

Lehrerin erinnert sich an deutsche Schule in Russland
"Ich habe in Russland für mehrere Jahre als Lehrerin an einer deutschen Schule gearbeitet", erzählt eine 58-jährige Berlinerin, während sie mit ihrem Schild "Peace for Ukraine" vor der russischen Botschaft steht. "Damals hatten wir dort ein gutes Leben, waren willkommen", sagt die Berlinerin, die 2015 das letzte Mal im Land war.
Auf der einen Seite sei es vor einem Jahr ein Schock für sie gewesen, als der Krieg begann. Auf der anderen Seite habe es mit dem Mord an der Journalistin Anna Polykowska 2006 oder am Umgang mit Kremlgegnern wie Alexej Nawalny schon erste Anzeichen für einen Wandel in Russland gegeben. Dazu habe der Westen nach dem Überfall auf die Krim zu wenig getan.
"Nun müssen Europa und USA die Ukraine unbedingt weiter unterstützen, sonst siegt der Diktator Putin", meint sie. Die Zeit für Autokraten, Diktatoren und Großmäuler solle vorbei sein. In Verhandlungen und weiteren Waffenlieferungen sieht die ehemalige Lehrerin die Lösung für den Konflikt.
Ein Zeichen mit Kerzen setzen
Einige zünden Kerzen an, auch Nathalie und ihr Freund. "Alle Europäer sollten heute ein Zeichen für die Ukraine setzen", sagt sie, die eine blau-gelbe Flagge auf dem Rücken trägt.
Vor einem Jahr liefen beide bei der großen Friedensdemonstration in Berlin, an der mindestens 100.000 Menschen teilnahmen. "Müde sind wir nicht und dürfen wir auch nicht sein", meint Nathalie zu einem Jahr Krieg.
Durch Verwandtschaft in Polen bekommt sie viel mit. Das deutsche Nachbarland sei viel näher dran am Kriegsgeschehen. "Alleine die ganzen Geflüchteten, die auf einmal vor der Tür standen. Der Krieg ist dort präsenter als hier."
UN-Resolution lässt hoffen
Nach Angaben des EU-Statistikamtes Eurostat wurden in Polen Ende des vergangenen Jahres insgesamt 961.340 schutzbedürftige Flüchtlinge aus der Ukraine registriert. In Deutschland waren es 967.840.
Als Hoffnungsschimmer nimmt Nathalie die gestern beschlossene Resolution der Vereinten Nationen wahr, die den Rückzug Russlands fordert. Auch die deutschen Panzerlieferungen bewertet die 32-Jährige als positiv. "Würde es nach mir gehen, würde ich der Ukraine alles geben, was sie brauchen."