Rund jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet. Das soll sich mit der Kindergrundsicherung ändern – heißt es im Koalitionsvertrag. Doch deren Umsetzung sorgt für reichlich Diskussion in der Ampelkoalition, denn Finanzminister Lindner sieht wenig finanziellen Spielraum dafür. Doch die Koalitionspartner geben sich damit nicht zufrieden.
Auch nach wochenlangem Ringen der Ampelkoalition um die Kindergrundsicherung ebbt die Diskussion nicht ab. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann bekräftigte am Montag das grundsätzliche Ziel der Ampelkoalition, das Vorhaben umzusetzen. "Die Bundesregierung hat sich (...) im Koalitionsvertrag darauf verständigt, eine Kindergrundsicherung einzuführen. Das ist mehrfach bekräftigt worden, und das wird auch so kommen", sagte sie. Man arbeite jetzt an der konkreten Ausgestaltung.
In der Kindergrundsicherung sollen ab 2025 nach dem Plan der Ampelkoalition diverse staatliche Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten gebündelt werden. Durch die Bündelung und Digitalisierung sollen zudem mehr Berechtigte erreicht werden, die Leistungen bisher nicht beantragen.
Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, appellierte an Finanzminister
Kindern in Armut fehle es an früher Förderung im Elternhaus und unkomplizierten und leicht zugänglichen Hilfen. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Januar hieß es, dass knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche – das entspricht einem Anteil von 20,8 Prozent – 2021 bundesweit von Armut bedroht waren.
Mehr Geld für arme Kinder? Lindner sieht keinen finanziellen Spielraum
Dass die Grundsicherung deshalb kommen soll, scheint innerhalb der Regierung unstrittig. "Die Kindergrundsicherung soll kommen und wird kommen. Es ist ein zentrales sozialpolitisches Projekt der Koalition", sagte SPD-Generalsekretär
Seit Wochen streiten Grüne und FDP allerdings darüber, wie viel Geld das Projekt kosten soll. Familienministerin
Lindner sieht hingegen kaum Spielraum im Haushalt. In der "Bild am Sonntag" wies er darauf hin, dass die Bundesregierung insgesamt für Familien und Kinder bereits sieben Milliarden Euro pro Jahr mehr zur Verfügung gestellt habe – etwa durch die bereits erfolgte deutliche Kindergelderhöhung auf 250 Euro im Monat.
"Nur mehr Geld auf den Haufen zu legen, bringt nichts", wandte sich auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr im ZDF gegen den Ansatz von Paus. Die Liberalen drängen bei der Kindergrundsicherung vor allem auf den Punkt Digitalisierung und vereinfachte Antragstellung.
Linken-Chef kritisiert Ampel für "unwürdiges Schauspiel"
Linken-Parteichef Martin Schirdewan kommentierte diese Aussagen damit, dass es nicht um "ein fancy Online-Spiel", sondern um Ausgrenzung und schlechtere Zukunftsperspektiven für Kinder gehe. Den Ampel-Parteien warf er ein "unwürdiges Schauspiel auf dem Rücken der Ärmsten" in Deutschland vor. Der Linken-Parteichef forderte, das Kindergeld generell auf 328 Euro pro Kind, je nach Alter und Bedürftigkeit sogar auf 681 Euro anzuheben.
Scharfe Kritik vor allem an Lindner übte auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. Es gehe vor allem um mehr Geld, "die Hartz-IV-Sätze müssen um mindestens 30 Prozent steigen", verlangte er in den Sendern RTL und ntv. Die Digitalisierung von Sozialleistungen nannte Schneider ein "familienpolitisches Schickimicki".
Die Erhöhung des Kindergelds verurteilte Schneider im Interview mit ntv als "politische Schaumschlägerei" Lindners. "Das Kindergeld wird bei den Familien, die Hartz IV beziehen, voll angerechnet. Von der Erhöhung bleibt bei diesen Familien deshalb nichts hängen. Das ändert sich auch nicht mit dem Bürgergeld."
Union und FDP fordern detailliertere Pläne für Kindergrundsicherung
Kritisch sieht man Paus Forderung nach zwölf Milliarden für das Projekt derweil in der Union. Die Bundesregierung müsse "endlich Prioritäten setzen und auch in der Familienpolitik staatliche Leistungen auf ihre Wirksamkeit überprüfen", forderte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU) in der "Bild". Paus jedoch arbeite offenbar nach dem Motto "Viel (Geld) hilft viel". In Wahrheit scheine es den Grünen "eher um Ideologie als um die Zukunft von Kindern zu gehen", sagte der Unionspolitiker.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Mayer warf Paus derweil vor, Familien nicht zielgenau zu helfen. Die Aufgabe der Familienministerin sei die "Verwaltungsvereinfachung für Familien", doch da sei "noch nichts gekommen". "Wer Geld fordert, muss erst sagen, was wie genau gemacht werden soll", sagte Mayer. Auch hier bleibe Paus "Antworten schuldig".
Auch nach Ansicht des SPD-Fraktionsvize Achim Post ist angesichts der Kassenlage klar, dass Priorisierungen vorgenommen werden müssten. Nicht alles werde ohne Abstriche finanzierbar sein. Aber Post mahnte eine offene Herangehensweise an: "Wir müssen in den nächsten Wochen und Monaten prüfen, wo wir uns zusätzliche Spielräume erarbeiten können. Und dabei erwarte ich dann auch, dass wir das in der Koalition mit Pragmatismus tun – und nicht vorschnell zu allen denkbaren Wegen Nein sagen."
Eine Sprecherin des Finanzministeriums sagte am Montag, es gelte jetzt die Verhandlungen zur Kindergrundsicherung abzuwarten. "Es geht ja auch darum, dass man sich darüber verständigt, was versteht man darunter." (dpa/afp/thp)

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