• Deutschland hat nicht viel Wildnis, aber im Odertal gibt es sie. Und die ist jetzt in großer Gefahr.
  • Warum Tausende Fische verendeten, wird derzeit immer noch untersucht.
  • Vor den Toren eines einmaligen Nationalparks wappnen sich Helfer gegen die Katastrophe.

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Deutschlands einziger Auen-Nationalpark an der Oder ist eigentlich ein friedlicher Ort, ein Paradies für Wasservögel als Brut-, Rast- und Überwinterungsplatz. Er ist ein deutsch-polnisches Großprojekt rund 30 Kilometer südlich vom Stettiner Haff, 150 Kilometer südlich der Ostsee-Insel Usedom. Jedes Jahr zieht diese Gegend im Frühjahr und Herbst Natur-Fans an, die den Durchzug Tausender Enten, Gänse oder Kraniche beobachten. An diesem Augustmorgen zieht ein Fischadler seine Kreise über dem Wasser - ein erhabener Anblick. Doch als sich der Morgennebel lichtet, wird das Ausmaß der aktuellen Umweltkatastrophe sichtbar und ein unbeschreiblicher Gestank setzt sich in der Nase fest.

Unzählige tote Fische schwimmen auf dem Fluss - große Bleie, Plötzen, Rapfen - meist Weißfische verwesen im Wasser der Oder, nicht weit entfernt von den Flussauen des Nationalparks.

Freiwillige holen tonnenweise tote Fische aus dem Fluss

Ingo Kapuhs ist seit 30 Jahren Ranger im Schutzgebiet, in seinen Führungen erzählt er von einem sensiblen Ökosystem, das der immer stärkeren Einwirkung des Menschen und des Klimawandels unterliege.

Nun ist der Naturschützer einer der Freiwilligen, die - ausgestattet mit Gummistiefeln, Kescher und Schutzausrüstung - bei brütender Hitze tonnenweise tote Fische aus dem Fluss holen. "Sowas hab ich hier noch nie gesehen", sagt Kapuhs.

Umweltkatastrophe am Fluss Oder
Andreas Hein, Ranger bei der Naturwacht Brandenburg, steht mit Schutzbekleidung im deutsch-polnischen Grenzfluss Westoder, nahe dem Abzweig vom Hauptfluss Oder und holt mit einem Kescher tote Fische aus dem Wasser. Mitarbeiter vom Nationalpark Unteres Odertal, Ranger der Naturwacht Brandenburg, Mitarbeiter vom Landkreis Uckermark und freiwillige Helfer sind seit den Morgenstunden mit dem einsammeln von toten Fischen im Gebiet des Nationalparks Unteres Odertal beschäftigt.

Ob er wütend sei auf die polnischen Behörden, die über das Fischsterben spät informiert haben? Sachlich zu bleiben, fällt dem Naturschützer gerade schwer. "Man hat einfach die Tatsachen verschleiert und es drauf ankommen lassen, was passiert. Man wollte das einfach unter den Tisch kehren", glaubt er.

Langfristige Folgen für die Umwelt? Noch nicht absehbar

Noch ist nicht absehbar, welche langfristigen Folgen die Umweltkatastrophe für Fische, Tiere und Pflanzen der Oderregion und der Ostsee bedeutet. Auch, weil noch immer nicht klar ist, welche toxischen Stoffe zum massenhaften Fischsterben geführt haben. Die Bundesregierung erwartet aussagefähige Untersuchungsergebnisse.

Das Landesumweltamt hat inzwischen über erste Laborergebnisse informiert. Diese hätten demnach keine besonders hohen Werte für Metalle wie Quecksilber gezeigt, heißt es vom brandenburgischen Umweltministerium. Weiterhin werden hohe Salzfrachten und ein hoher Sauerstoffgehalt festgestellt.

Der Umweltverband BUND schätzt, dass bis zu 100 Tonnen Fisch verendet sind. 500 Kilometer Flusslauf seien betroffen. Polen geht davon aus, das eine riesige Menge Chemieabfälle in die Oder geleitet wurde.

Der Nationalpark in der Uckermark hat sich in der Katastrophe selber gerettet. Die Polder sind im Sommer wie üblich geschlossen. Das Oder-Wasser mit den noch unbekannten giftigen Stoffen, ist nicht ins Schutzgebiet gelangt. Ab November soll es wieder für die Auen hereingelassen werden.

Nationalparkverwaltung ist besorgt

Jana Chmieleski von der Nationalparkverwaltung ist trotzdem besorgt, denn die Gefahr etwa für Seeadler, Kormorane, Fischotter und Eisvögel bleibe. Kritisch sei, dass die Fische Schwermetalle schon in sich hätten und die Vögel sie in die Nahrungskette mit aufnähmen.

Auch Forschungsprojekte wie die von Jörn Gessner und seinem Team vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat die Umweltkatastrophe erreicht. Die Forscher versuchen, unter anderem Atlantische Störe in Deutschland, auch im Unteren Odertal, wieder anzusiedeln. Die Aufzucht von Jung-Stören habe weitreichende Verluste erlitten, berichtet er nun. Nächste Woche wolle sein Team Bodenproben nehmen, ob auch Mikroorganismen betroffen sind.

Dort, wo sich West-Oder und ihr Hauptarm trennen, ist inzwischen eine Sperre gezogen worden, um die toten Tiere am Weitertreiben zu hindern. Das Absammeln gestaltet sich schwierig, es geht nur vom Uferrand. Helfen würde ein Boot, doch ob das noch eintrifft, wissen die Akteure nicht. Doreen Bandelmann und ihr Sohn Luca haben sich über eine eingerichtete WhatsApp-Gruppe als Freiwillige für das Einsammeln der Fischkadaver gemeldet. "Helfen gibt wenigstens das Gefühl, irgendwas zu machen", sagen sie.

Für Wissenschaftlerin Chmieleski hat die Umweltkatastrophe bei allem Übel noch etwas Anderes hervorgebracht: eine Chance zur Aufklärung der Bevölkerung. Die Umweltkatastrophe zeige ganz deutlich die Verletzbarkeit von Ökosystemen und wie wichtig es sei, große Gebiete zu schützen, meint sie. "Dieser Moment wird irgendwann vorbei sein, aber das, was wir aktuell sehen, ist nur ein Symptom von allem, was wir in ganz Europa parallel sehen", ist die 50-Jährige überzeugt.

Auf der polnischen Ufer-Seite der Oder fährt unterdessen ein Motorboot - weg von den Fischkadavern und freiwilligen Helfern und ohne Hilfsangebot. Die freiwilligen Helfer fischen weiter vom Rand im trüben Wasser. Die Kommunikation mit dem Nationalpark-Partner auf polnischer Seite sei gerade nicht einfach, sagt Chmieleski. (dpa/Silke Nauschütz/mgb)