Das Morning Briefing von Gabor Steingart - kontrovers, kritisch und humorvoll. Wissen, über was politisch diskutiert wird. Heute: das Impf-Chaos in Deutschland und die drei Anti-Spahn-Fraktionen.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und liebe Leser,
der umstrittene Impfstoff Astrazeneca darf in Europa wieder gespritzt werden. Damit stehen Jens Spahn und das Paul-Ehrlich-Institut, auf deren Expertise sich der Minister beim verordneten Impfstopp berufen hatte, als Verlierer da.
Ihre Befürchtung, von dem Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers gehe eine nicht verantwortbare und statistisch auffällige Gefährdung aus, hat sich nicht bewahrheitet. Zwar hatten sich ein halbes Dutzend EU-Staaten zum vorübergehenden Stopp entschieden, aber namhafte Wissenschaftler und prominente Politiker - darunter Markus Söder, Karl Lauterbach und Sebastian Kurz - setzten sich von Jens Spahn ab.
Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) entschied gestern Abend (18. März) um 17:00 Uhr, dass der Nutzen die Risiken überwiege. Die Chefin der EMA Emer Cooke sagte gestern:
Jens Spahn kleinlaut:
Das ursprüngliche Kalkül des Ministers, die Öffentlichkeit möge ihn als besonders weitsichtigen und sensibel agierenden Politiker wahrnehmen, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Seine Gegner rekrutieren sich nunmehr aus drei unterschiedlichen Fraktionen:
Jens Spahn und seine drei gegnerischen Fraktionen
Fraktion eins betrachtet Jens Spahn als Hasenfuß des Corona-Kabinetts, weil eine vergleichsweise mikroskopische Abweichung bei den Nebenwirkungen ihn zur Vollbremsung veranlasste. Auch die Tatsache, dass er dafür die Rückendeckung der Kanzlerin einholte, gilt als Ausweis einer Absicherungskultur, die das Prädikat ‚zupackend‛ nicht verdient.
Fraktion zwei wirft ihm vor, nicht evidenzbasiert zu handeln. Zu dieser Fraktion gehören vor allem Experten wie Prof. Christian Drosten und Prof. Karl Lauterbach, die von Spahn eine Abwägung zwischen den gemeldeten drei Fällen von tödlich verlaufenen Gehirnthrombosen und den Tausenden von Toten erwartet hätten, die eine ins Rutschen geratene Impfkampagne über den Verlauf der Zeit bedeuten wird.
Christian Drosten urteilte hart und eindeutig:
Auch Karl Lauterbach war klipp und klar:
Fraktion drei sieht Spahns Achterbahnpolitik - erst das Werben für Astrazeneca, dann das Verbot, erst die Idee im CDU-Präsidium "positive Narrative" zu verbreiten und dann die Negativnachricht - als Ausweis seiner Spielernatur. Er habe mit der Entscheidung als fürsorglich handelnder Politiker Sympathiepunkte im Volk sammeln wollen, in Wahrheit jedoch weder dem Land noch sich einen Dienst erwiesen.
Fazit: Corona schädigt nicht nur die Atem-, sondern auch die Karrierewege.
Kurz will enge Partnerschaft mit Impf-Weltmeister Israel
Sebastian Kurz war gestern in Berlin. In der österreichischen Botschaft traf er "Welt"-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, die ihn für den Morning Briefing Podcast interviewte.
In dem Gespräch erläuterte der österreichische Bundeskanzler seine Kritik an der europäischen Impfpolitik, die er für zu bürokratisch hält, und begründete seine Strategie einer engen Partnerschaft mit dem Impf-Weltmeister Israel.
Fazit: Hier spricht nicht die Stimme des Populismus, sondern die Stimme der Vernunft. Die Kooperation mit Israel weist Sebastian Kurz nicht als Nationalisten, sondern als Globalisten aus. Oder anders gesagt: Österreich wird so regiert, wie Deutschland es sich erträumt.
Ich wünsche Ihnen einen nachdenklichen Start in das heute beginnende Wochenende. Es grüßt Sie auf das Herzlichste
Ihr Gabor Steingart