• Wenn ehemals glückliche Menschen Suizidgedanken hegen, lautet eine immer häufigere Ursache dafür: Cybermobbing.
  • Hassrede im Internet hat während Corona zugenommen und kann entsetzliche Folgen haben.
  • Die Polizei betont: Jeder Einzelne sei gefragt, mit dagegen vorzugehen.

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Anfeindungen und beleidigende, hasserfüllte Parolen sind im Internet zu alltäglichen Phänomenen geworden, befeuert durch die Schnelligkeit und Anonymität in digitalen Räumen. Soziale Medien zählen dazu, Foren und auch Messenger. Alltäglich, aber alles andere als harmlos: Mobbing und Cybermobbing hinterließen eine Spur in der Seele und könnten ein ganzes Spektrum von Problemen verursachen, warnt der Psychiater Ahmad Bransi, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Weserbergland.

"Wir wissen, dass Menschen, die Opfer von Cybermobbing sind, Veränderungen in ihrer Lebensqualität empfinden, in ihrer Stimmungslage und in ihrer seelischen Gesundheit." Bei Erwachsenen äußere sich dies unter anderem durch Krankmeldungen, Arbeitsunfähigkeit, Kündigungsbereitschaft und durch Depressionen. Auch Persönlichkeitsveränderungen könnten eine Folge sein.

Selbstzweifel und verhängnisvolle Scham

Vor allem wenn das Mobbing über einen längeren Zeitraum angehalten hat, kann es sein, dass eine seelische Störung bestehen bleibt, warnt Bransi. Das Internet vergisst nichts. Zum Beispiel eine Diffamierung, die nicht gelöscht werden kann, könne zu realen Angststörungen, Selbstzweifeln oder in ganz schlimmen Fällen sogar zum Suizid führen.

Viele Menschen schämten sich dafür, gemobbt zu werden und fühlten sich irgendwie schuldig. Bransi rät deshalb dazu, mit dem eigenen Umfeld darüber zu sprechen, was einem widerfährt - auch um etwas gegen das Gefühl der Hilflosigkeit und Isolation zu unternehmen. Der Hausarzt könne ein erster Ansprechpartner sein, falls jemand zunächst keine psychologische Hilfe in Anspruch nehmen kann oder möchte.

Betroffene müssen Hilfe in Anspruch nehmen

Wenn es um Kinder geht, sei unser Bewusstsein geschärfter: Man muss sie natürlich unterstützen. Bei Erwachsenen jedoch denke man fälschlicherweise, dass sie mit ihren Problemen schon allein fertig würden, beobachtet Bransi: "Aber das ist häufig nicht so. Denn wenn jemand gemobbt wird, auch per Cybermobbing, braucht diese Person Hilfe."

Experten warnen Betroffene vor dem Versuch, das Problem ganz alleine zu lösen: "Wenn man ein Opfer von Cybermobbing wird, egal wie alt man ist, sollte man sich Hilfe suchen", betont auch Sebastian Seitner vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg. Auf Plattformen wie Facebook oder Twitter kann man Mobbing melden. Dort sei man angewiesen, die Einträge zu löschen, sagt Seitner. Dies sei klar geregelt. Handelt es sich um schwerwiegende Drohungen und Beleidigungen, rät er zu folgendem Vorgehen:

  • Dokumentieren Sie den Vorfall genau, mit exakter Uhrzeit, Internetadresse und am besten auch mit Screenshots. Diese könnten auch dann als Beweis dienen, wenn zum Beispiel die Beleidigung oder Drohung später wieder gelöscht oder abgeändert wird.
  • Gehen Sie zur Polizei und erstatten Sie Anzeige.

Kaum jemand hat Umgang mit dieser Art von Hass gelernt

Die Intensität, mit der man teilweise im Internet angefeindet wird, überrasche viele und zu wenige hätten gelernt, damit umzugehen, beobachtet Peter Sommerhalter vom Verein "Bündnis gegen Cybermobbing". Bei Frauen spielten im Zusammenhang mit Cybermobbing neben Stalking oft auch sogenannte Rachepornos eine Rolle. Einvernehmlich aufgenommene, intime Fotos oder Videos würden dabei vom Ex-Partner vorsätzlich ins Netz gestellt oder auf anderen Wegen veröffentlicht.

Bei solchen Vorfällen kann es sinnvoll sein, sich für einen offenen Umgang zu entscheiden, rät Sommerhalter und nennt ein Beispiel: "Eine betroffene Dame hatte mehrfach den Arbeitsplatz gewechselt, da ihr Ex-Partner immer wieder Nacktbilder von ihr per Mail an ihre Arbeitskollegen verschickt hatte." Schließlich habe sie das Gespräch mit ihrem Chef, ihrer Arbeitsgruppe und der Gleichstellungsbeauftragten der Firma gesucht, "um zu erklären, was ihr geschieht, und dass sie sich dies nun nicht mehr gefallen lässt."

Jugend-Studie: Mobbing wird härter und gezielter

Wenn es um die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen im Netz gehe, seien Eltern gefragt, heißt es von der Initiative "Schau hin!". Wichtig sei etwa, technische Sicherheitseinstellungen an Geräten vorzunehmen und über Risiken im Netz aufzuklären, etwa Kettenbriefe und Kontakt zu Fremden. "Eltern gehen mit gutem Beispiel voran, wenn sie ihre Passwörter regelmäßig wechseln, mit persönlichen Daten im Internet sparsam umgehen und beides auch mit ihren Kindern besprechen".

Das Bündnis gegen Cybermobbing machte im Dezember in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse die Ergebnisse einer Studie öffentlich:

  • Fast zwei Millionen Schüler sind in Deutschland von Cybermobbing betroffen.
  • Rund jeder Sechste bis Zehnte zwischen acht und 21 Jahren berichtet von Beleidigungen und Bloßstellungen über das Internet.

Die Zahl sei seit der letzten Befragung im Jahr 2017 um 36 Prozent gestiegen. Auch die Corona-Pandemie verschärfe das Problem. Sozialkontakte seien noch stärker ins Netz verlagert worden. An der Studie beteiligten sich bundesweit Eltern, Lehrer und fast 4.500 Schüler. "Es zeigt sich ganz deutlich, dass heute gezielter und härter gemobbt wird, als noch vor drei Jahren", erklärte der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest. Der Befragung zufolge sprach jeder vierte Betroffene schon einmal von Suizidgedanken.

16-Jähriger startet Online-Beratung

Doch Beratungen erreichen Betroffene oft gar nicht. "Kinder und Jugendliche rufen heute eigentlich nicht mehr so an, sie wollen eher eine Online-Beratung", schildert der 16-jährige Lukas Pohland. Er ist ein gefragter Experte in den Medien und bei Politikern, was auch daran liegt, dass er die Opferrolle nur allzu gut kennt: Nachdem er mit zwölf Jahren einer Mitschülerin beigestanden hatte, wurde er zur Zielscheibe von Hass. "Ich hatte Angst", sagt er heute. Mit 13 gründete er eine Initiative gegen Cybermobbing, beriet Opfer telefonisch von seinem Kinderzimmer aus, mit 14 den Verein Cybermobbing-Hilfe. Kürzlich startete er mit jungen Mitstreitern eine Online-Beratung für Kinder und Jugendliche.

"Wir wollen Hilfe auf Augenhöhe bieten. Wir sind alle Digital Natives, mit Internet und Smartphone groß geworden. Wir können uns besser einfühlen als Erwachsene." Zehn geschulte Berater zwischen 15 und 21 Jahren stehen parat, um Betroffenen erste Hilfe zu leisten. Die Hilfesuchenden sollen immer von einem festen Ansprechpartner betreut werden, der dann gut im Bild sei. Es handele sich um die deutschlandweit erste allein auf Cybermobbing spezialisierte Internet-Beratungsstelle, sagt der Initiator.

Zeuge von Hass? Das können Sie tun

Hasserfüllte Äußerungen können schnell einen Straftatbestand erfüllen. "Hassrede darf weder im realen Leben noch im Internet hingenommen werden", betont Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, "entscheidend ist, dass sich die Nutzerinnen und Nutzer gegen hasserfüllte Äußerungen und Kommentare wehren. Das ist ein wichtiges Signal an die Täter. Aber auch andere Netzwerkteilnehmer werden dadurch ermutigt, sich gegen Hass im Netz einzusetzen."

Etwa sollten Nutzerinnen und Nutzer einschreiten und Hassreden widersprechen, auch Screenshots seien hilfreich, um Fälle zu melden. Dies kann man online tun etwa bei der Meldestelle "respect!" oder der Internetbeschwerdestelle. Bei Notfällen oder Situationen, die ein sofortiges Einschreiten erfordern, gilt es aber die Polizeiunter 110 zu kontaktieren. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn Hinweise auf schwerwiegende Straftaten vorliegen. (af - mit Material der dpa)

Wenn Sie von Cybermobbing betroffen sind, können Sie sich in einem ersten Schritt an eine Hilfsorganisation wie den "Weißen Ring" oder eine Hilfeeinrichtung in Ihrer Stadt wenden.

Kinder bekommen Hilfe beim Kinder- und Jugendtelefon 0800 111 0333 "Nummer gegen Kummer", anonym und kostenlos von Montag bis Samstags 14:00 Uhr-20:00 Uhr. Die Initiative "Schau hin!" informiert online ausführlich zu sicherem Surfen für Kinder und Jugendliche.

Neu ist das Online-Angebot des Vereins Cybermobbing-Hilfe, wo junge Menschen betroffene Kinder und Jugendliche beraten. Auch Juuuport bietet entsprechende Beratung.

Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Suizid-Gedanken betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge unter der Telefonnummer 08 00/ 11 10 - 111 (Deutschland), 142 (Österreich), 143 (Schweiz).

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes
  • "Schau hin!"
  • Meldestelle "respect!"